Steigende Corona-Zahlen in Deutschland: Alarmrufe aus München

13.10.2020, 14:58 Uhr
Nach der Kabinettssitzung der Bayerischen Staatsregierung am Dienstag, folgt am Mittwoch die Konferenz der Ministerpräsidenten.

© Peter Kneffel, dpa Nach der Kabinettssitzung der Bayerischen Staatsregierung am Dienstag, folgt am Mittwoch die Konferenz der Ministerpräsidenten.

Die Pandemie-Bekämpfung in Deutschland stehe "kurz vor dem Kontrollverlust", so der Ministerpräsident. Die Länderchefs müssten sich jetzt einen "Ruck" geben und sich auf ein "echtes klares Regelwerk für alle" einigen. Man dürfe nicht mehr Zeit "mit Klein-Klein vertrödeln".

Unter "Klein-Klein" versteht Söder auch die gegenwärtige Debatte um die innerdeutschen Beherbergungsverbote für Reisende aus Corona-Hotspots. Was dieses "Detail" angehe, so sei er "in keinster Weise auf Dauer festgelegt", sagte Söder. Wichtig sei, dass die Ministerpräsidentenkonferenz heute (Mittwoch) sich zu bundeseinheitlichen Regelungen durchringe, was Masken- und Abstandspflicht, Alkoholgebrauch und private Feiern und Partys betreffe, sagte Söder. Es müsse auch einen einheitlichen "Regelungskanon" für die einzuleitenden Maßnahmen geben, die beim Überschreiten bestimmter Fallzahlen in einzelnen Regionen in Kraft gesetzt werden.

Söder denkt vor allem an eine "erweiterte Maskenpflicht überall in Deutschland": "Mit mehr Maske können wir die Entwicklung verzögern und eindämmen", so der bayerische Ministerpräsident. Sie sei darüber hinaus ein relativ harmloser Eingriff und ermögliche Freiheiten, die ohne sie nicht möglich wären. Der angestrebte Kompromiss der Länderchefs dürfe sich nicht auf den "kleinsten gemeinsamen Nenner" beschränken, sondern den sichersten Weg gehen. Er habe das Gefühl, dass seine Ministerpräsidenten-Kollegen jetzt "viel offener" seien als vor drei oder vier Wochen. "Vielleicht gelingt uns doch einmal der große Wurf", sagte Söder.

Von der Vielstimmigkeit zum Wohlklang

Unterstützung erhielt er dabei vom Präsidenten der Nationalen Akademie der Wissenschaft Leopoldina Gerald Haug, der an der Sitzung des bayerischen Ministerrats zugezogen worden war. Auch Haug sprach mit Blick auf Corona von einer "sehr dramatischen Situation". In Madrid und Paris stehe man schon wieder kurz vor Triage-Maßnahmen, also Entscheidungen darüber, wer weiter intensiv behandelt werden soll und wer nicht.


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Er hoffe, dass es der Bundeskanzlerin bei der Ministerpräsidentenkonferenz gelinge, aus der "Vielstimmigkeit" einen "Wohlklang" zu formen und "klare einheitliche Regeln" für die ganze Bundesrepublik herzustellen, so Haug. Die umstrittenen Beherbergungsverbote sollte man nach Ansicht Haugs allerdings "nach den Herbstferien wieder fallen lassen". Der aus Berlin angereiste Leopolidina-Präsident hätte in München in keinem Hotel aufgenommen werden dürfen.

Die Vorsitzende des "Dreierrats Grundrechtsschutz" bei der bayerischen Landesregierung, die ehemalige Münchener Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler, betonte die Wichtigkeit der "Plausibilität" staatlicher Anti-Seuchen-Maßnahmen. Die Verordnungslage sei derzeit "konfus" und erfordere "mehr Transparenz".

Die bayerische Regierung hat wegen der bevorstehenden Ministerpräsidentenkonferenz am Dienstag keine weiteren Anti-Corona-Maßnahmen beschlossen, obwohl auch im Freistaat die Zahl der Neuinfektionen ständig steigt. Sechs Städte und Landkreise, darunter die Landeshauptstadt München, verzeichnen schon wieder mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche, bei 14 weiteren lag die Inzidenz am Dienstag zwischen 35 und 49. Es gebe auch in Bayern wieder Corona bedingte Todesfälle, warnte Söder.

"Keine Panik, aber..."

Am kommenden Donnerstag wird die Söder-Regierung zu einer Sondersitzung zusammentreffen, auf der die erwarteten bundesweiten Regelungen umgesetzt werden sollen. Dienstag beschlossen die Kabinettsmitglieder lediglich die Zuordnung von weiteren 2.000 Bediensteten des Freistaats zu den so genannten Contact-Tracing-Teams der Gesundheitsämter im Freistaat.

Söder zog alle Register, um den Ernst der Pandemie-Lage vor Augen zu führen. Er wolle keine Panik verbreiten, aber wenn jetzt nicht sofort gehandelt werde, sei ein zweiter Lockdown nicht zu verhindern, machte der bayerische Regierungschef deutlich. Es sei "Fünf vor Zwölf", um eine unkontrollierte Entwicklung wie in den Nachbarländern zu verhindern. "Ich habe kein gutes Gefühl im Moment", bekannte Söder.

Vieles erinnere ihn an der Situation im Frühjahr: "Die schwierigste Zeit liegt noch vor uns", so auch der "eigentliche Charaktertest" für die Gesellschaft. Entscheidend sei nicht die Loyalität der Bürger gegenüber dem Staat, sondern die Solidarität der Menschen untereinander. Dazu gehöre, dass diejenigen, die sich von Covid-19 nicht so betroffen fühlten, Rücksicht auf Risikogruppen nähmen, so der bayerische Ministerpräsident.

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