Interview mit Thomas Heyden

Gerhard Richter wird 90: So tickt der teuerste lebende Maler der Welt

Stefan Gnad

"Leben"

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9.2.2022, 06:00 Uhr
Gerhard Richter wird 90: So tickt der teuerste lebende Maler der Welt

© Rolf Vennenbernd, dpa

Herr Heyden, wie wird man der teuerste lebende Künstler seiner Zeit?

Thomas Heyden: Na, das klingt ja fast, als habe es Gerhard Richter darauf angelegt. Das hat er ganz gewiss nicht! Was nicht heißen soll, dass er sich nicht geschickt auf dem Markt positioniert hätte. Schon früh hat er einen guten Riecher für die richtigen Galeristen gehabt: Alfred Schmela, Heiner Friedrich und Konrad Fischer haben ihn vertreten. Doch natürlich muss auch die Ware stimmen: Richter verstand nach seiner Übersiedlung in den Westen schnell, worin das Problem der Malerei bestand. Er antwortete darauf mit einer radikalen Absage an den Schöpferkult, an das Malersubjekt, das sich auf die Leinwand projiziert. Diesem Projekt blieb er treu und hat sich dabei trotzdem immer neu erfunden. Das nennt man Qualität, und der Markt hat es honoriert. Wenn dann noch genügend Geld im Spiel ist – wie in den Achtzigern –, dann steht dem Gipfelsturm nichts mehr im Weg.

Gerhard Richter wird 90: So tickt der teuerste lebende Maler der Welt

© Patrick Schroll

Anders rum gefragt: Ist das gerechtfertigt - solche Summen für Kunstwerke?

Heyden: Das ist eine moralische Frage, ob ein Bild zweistellige Millionenbeträge kosten darf. Darüber kann man ganz unterschiedlich denken. Den Künstler erschrecken die Rekordsummen, die seine Werke auf Auktionen erzielen. In einem Interview mit dem Spiegel sprach Richter einmal von „wahnwitzigen Preisen“, die zur Relevanz von Kunst in keinem Verhältnis stünden. Und weiter: „Vielleicht geht es den Menschen darum, ihr Kapital anzulegen. Aber es ist nicht so, dass sie die Kunst noch brauchen.“ Aber einmal ungeachtet der Frage, ab welcher Höhe Preise für Kunst unmoralisch werden, zählt Gerhard Richter völlig zurecht zu den Top-Künstlern der Gegenwart. Sein permanenter Zweifel am Bild, sein Hinterfragen des Verhältnisses von Bild und Realität haben uns eine Malerei beschert, die irritiert, uns aber auch immer wieder mit ungeahnter Schönheit betört. Ganz nebenbei wurde er auch zu einem der feinnervigsten Chronisten der deutschen Geschichte. Denken Sie nur an Tante Marianne, Onkel Rudi oder den RAF-Zyklus. Wir können uns das vergangene Jahrhundert nicht mehr vorstellen, ohne dass sich die Bilder Richters vor unser inneres Auge schieben.

Wie schrauben sich Kunstwerke - noch dazu von einem einzelnen Künstler - in solch schwindelerregende Höhen?

Heyden: Angebot und Nachfrage bestimmen die Preise. Und ab einer bestimmten Preiskategorie wird die Sache zum Selbstläufer, dann gilt man als Blue-Chip-Künstler. Dann geht es nur noch um die Performance im Artprice-Index. Für ein solches Investment braucht man keine Liebe zur Kunst, keine Leidenschaft, noch nicht einmal mehr Augen im Kopf. Die Werke verschwinden in Lagern, um darauf zu warten, gewinnbringend weiterverkauft zu werden. Das ist nicht Sinne der Sache. Dafür hat Gerhard Richter sicher nicht gemalt.

Gerhard Richter wird 90: So tickt der teuerste lebende Maler der Welt

© Gerhard Richter/Elektra Records

Nürnberg ist ein gutes Pflaster für Gerhard Richter - mit 30 Bildern haben wir angeblich die drittgrößte Sammlung seiner Kunstwerke in der Stadt. Wie kommt's?

Heyden: „Unsere“ 30 Richter-Gemälde stammen fast alle aus einer Berliner Privatsammlung, zu der Lucius Grisebach, der Gründungsdirektor des Neuen Museums, bereits Kontakt hatte, als er noch an der Nationalgalerie arbeitete. Die ersten Dauerleihgaben aus der Sammlung Böckmann gab es bereits bei der Eröffnung des Neuen Museums zu sehen. Im Lauf der Zeit wuchs das gegenseitige Vertrauensverhältnis und heute umfasst der Leihvertrag das gesamte Richter-Konvolut, das einen wunderbaren Überblick über Richters Entwicklung seit der Mitte der 1960er-Jahre gibt. 2014 haben wir daraus eine Ausstellung gemacht, die mit 61.000 Besucherinnen und Besuchern ein Riesenerfolg wurde.

Hat der Meister ein besonderes Verhältnis zu Nürnberg?

Heyden: Nicht, dass ich wüsste.

Haben Sie Gerhard Richter mal kennengelernt?

Heyden: Leider nein. Zu unserer Ausstellung 2014 konnte Richter bedauerlicherweise nicht kommen.

Unter uns: Haben Sie schon mal heimlich darüber nachgedacht, wie es wäre, so einen Richter aus dem Archiv zu verticken und für den Erlös richtig fett einkaufen zu gehen?

Heyden: Um Himmels willen! Mal abgesehen von der Absurdität der Vorstellung – bekäme ich wirklich Besseres für das viele Geld?!

Was schätzen und mögen Sie selbst an Gerhard Richter?

Heyden: Auch wenn Richter sagt, seine Bilder seien klüger als er, schätze ich ihn nicht nur als Maler, sondern auch als klugen Kopf. Sonst könnte er so etwas auch gar nicht sagen! Ich blättere gern in seinen gesammelten Texten, die unter dem Titel „Text“ erschienen sind. Wie der alte Sokrates kommt er darin unter anderem zu folgendem Schluss: „Ich weiß nichts, ich kann nichts, ich verstehe nichts, ich weiß nichts. Nichts. Und dieses Elend macht mich nicht einmal besonders unglücklich.“ Ein Glück, das abfärbt.

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