Das Amerika der Abgehängten

"Home": Franka Potentes verheißungsvolles Regie-Debüt

29.7.2021, 12:05 Uhr
Schwierige Annäherung: Marvin (Jake McLaughlin) und seine Mutter (Kathy Bates).

© Weltkino Filmverleih/dpa Schwierige Annäherung: Marvin (Jake McLaughlin) und seine Mutter (Kathy Bates).

((Platzhalter)Eine endlose Straße, menschenleer – bis auf einen einsamen Skateboarder mit roten Haaren und vielen Tattoos. Das ist Marvin, der auf die 40 zugeht. Wo kommt er her? Wo, vor allem, will er hin? In den nächsten 100 Minuten werden wir mehr über sein Leben erfahren. Über seine Vergangenheit, seine Gegenwart. Aber hat er auch eine Zukunft? "Lost Time", verlorene Zeit, steht auf seinen tätowierten Fingern und "Destroy" auf seiner Brust.

Es ist das Amerika der Abgehängten, das die deutsche Schauspielerin Franka Potente ("Lola rennt"), die seit vielen Jahren in den USA lebt, für ihr Langfilm-Debüt als Schauplatz gewählt hat. Trostlose Diner, öde Tankstellen, riesige Supermärkte, Drogen-Spots unter Highway-Brücken, heruntergekommene Häuser: eine Welt der zerbrochenen Träume. "Außer Pizzafalten habe ich nichts zu bieten", sagt der drogensüchtige Wade (Derek Richardson), der in einem verdreckten Wohnmobil haust und seine Zukunft längst hinter sich hat.

In diese Welt kehrt Marvin (Jake McLaughlin) zurück, nachdem er lange im Gefängnis gesessen hat. Trotz allem, es ist sein Zuhause, auch wenn ihn eigentlich niemand hier wieder haben will. Selbst seine schwer kranke Mutter (Kathy Bates) sagt: "Das ist nicht mein Marvin."

Verlorene Gefühle

Mit langen Einstellungen, kunstvoll arrangierten Tableaus und fast dokumentarischem Blick erzählt Potente sehr entschleunigt eine nahezu biblische Geschichte von Schuld, Sühne und Vergebung. Wahre Gefühle und Empathie sind bei vielen scheinbar verloren gegangen.

Mehr noch: Wie kaputt mag ein Mensch sein, der nicht einmal mehr Schmerz verspürt, philosophiert Marvins Schulfreund Wade. Ein Zombie sei das. Und doch gibt es kurze Momente, die ein wenig nach Glück aussehen – etwa wenn Marvin und Wade zur Musik der deutschen Band Donots tanzen. Eine Erinnerung an früher, als noch alles möglich schien, als das Skateboardfahren Freiheit und Ungebundensein verhieß.

Vor allem aber zieht sich eine große Traurigkeit durch den Film, der erst nach und nach das ganze Drama offenbart. Es wird sehr lange dauern, bis Marvin endlich sagen kann: "Heute war ein guter Tag". Hier bekommt ein Mensch vielleicht eine zweite Chance, nachdem er einst große Schuld auf sich geladen hatte. Aber die Widerstände sind enorm.

"Home" wird nicht der letzte Film von Franka Potente sein. In einem Interview verriet sie, dass sie ihre Zukunft auf dem Regie-Stuhl sehe. Mit ihrem verheißungsvollen Debüt, das große Fragen in außerordentlich subtilen Bildern verhandelt, setzt sie ein starkes Ausrufezeichen.

Auch bei der Wahl der Schauspieler bewies Potente ein gutes Gespür. Neben der wunderbaren Oscar-Preisträgerin Kathy Bates ("Misery"), die als schwer kranke und innerlich verhärtete Frau brilliert, und dem physisch sehr präsenten und zugleich sehr verletzlichen Hauptdarsteller Jake McLaughlin, begeistert vor allem Aisling Franciosi, die von Wut, Hass, Traurigkeit bis Zugewandtheit die unterschiedlichsten Gefühle intensiv auf die Leinwand bringt. Sie spielt Delta Flintow – eng verbunden mit Marvins Vergangenheit wird sie der Schlüssel für seine Zukunft sein. (100 Min.)

In diesen Kinos läuft der Film.

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