Neu im Kino

Verdrängter Völkermord: "Der vermessene Mensch" thematisiert die deutschen Kolonialverbrechen

23.3.2023, 13:00 Uhr
Skeptisch gegenüber einer gängigen Theorie: Leonard Schleicher spielt in dem Kinodrama "Der vermessene Mensch" den Ethnologie-Doktoranden Alexander Hoffmann.

© Studiocanal, epd Skeptisch gegenüber einer gängigen Theorie: Leonard Schleicher spielt in dem Kinodrama "Der vermessene Mensch" den Ethnologie-Doktoranden Alexander Hoffmann.

Als junger Mann bereiste er Namibia nicht lange nach der Erlangung der Unabhängigkeit und staunte über die dort immer noch präsenten Spuren deutscher Herrschaft.

Und so begibt sich der Filmemacher Lars Kraume nun mit "Der vermessene Mensch" in eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Vergangenheit. Die Handlung beginnt in Berlin: Im Rahmen der Deutschen Kolonialausstellung reisen Vertreterinnen und Vertreter der Herero und Nama aus der Kolonie Deutsch-Südwestafrika an, in der Hoffnung, mit dem Kaiser über ihre schwierige Lage sprechen zu können.

Vor Publikum vorgeführt

Stattdessen werden die Menschen einem sensationsgierigen Publikum wie Zootiere vorgeführt - und von Wissenschaftlern wie dem Ethnologieprofessor von Waldstätten (Peter Simonischek) untersucht und vermessen wie wissenschaftliche Objekte.

Von Waldstättens Doktorand Alexander Hoffmann (Leonard Scheicher) steht der gängigen Theorie, dass schwarze Menschen intellektuell unterlegen sind, allerdings skeptisch gegenüber. Bestärkt wird er darin, als er Kezia Kambazembi (Girley Charlene Jazama) kennenlernt, die Dolmetscherin der Herero.

Als wenig später in der Kolonie ein Aufstand der Herero und Nama niedergeschlagen wird und im Auftrag des Kaisers ein gnadenloser Vernichtungskrieg beginnt, begleitet Hoffmann für das Völkerkundemuseum die deutsche Armee, um Artefakte zu sammeln.

Insgeheim sucht er aber auch nach Beweisen für seine These - und hofft auf ein Wiedersehen mit Kezia. Doch das brutale Vorgehen der Soldaten und die Allgegenwart rassistischer und menschenverachtender Strukturen und Ideologien gehen an ihm nicht spurlos vorbei.

Aus Täterperspektive erzählt

Kraume, der schon mit "Der Staat gegen Fritz Bauer" und "Das schweigende Klassenzimmer" auf historisch-politischen Spuren wandelte, verlässt sich ganz auf die Kraft seiner erschütternden, immer wieder an die Nieren gehenden Geschichte. Der Versuchung, auch eine Liebesgeschichte zu erzählen, widersteht er zum Glück ebenso wie der, seinen Protagonisten zum Helden oder auch nur Sympathieträger zu machen.

Soldaten der "Deutschen Schutztruppe": Szene aus dem Kinodrama "Der vermessene Mensch".

Soldaten der "Deutschen Schutztruppe": Szene aus dem Kinodrama "Der vermessene Mensch". © Willem Vrey, epd

Doktorand Hoffmann mag, zumal zu Beginn, Empathievermögen und Weitsicht mitbringen. Aber die bittere Erkenntnis, dass das allein nicht unbedingt Gräueltaten verhindert, zeichnet den Film aus.

Auch die Entscheidung, dass diese Geschichte nur aus der Täterperspektive erzählt werden kann, ist die richtige. Gleichwohl ergibt sich daraus natürlich fast unausweichlich das Dilemma, dass man gerne mehr erfahren würde über die Menschen, die diesem Film seinen Titel geben. Nicht zuletzt auch, weil man dann mehr von der namibischen Schauspielerin Girley Charlene Jazama sehen würde, die hier ihre erste internationale Rolle spielt. Sie leistet in ihren Szenen Herausragendes und lässt nebenbei Shootingstar Scheicher, der als Hauptdarsteller vielleicht nicht die ideale Wahl war, geradezu verblassen. (116 Minuten)

In diesen Kinos läuft der Film.

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