Großvater der Emojis

Berühmtes Lächeln in Gelb: Harvey Ross erfand den Smiley

9.7.2021, 13:26 Uhr
Omnipräsent im Alltag – wie hier in der Hamburger Speicherstadt, wo eine sieben Meter hohe Smiley-Skulptur per Algorithmus die aktuelle Gesamtstimmung im Stadtteil anzeigt.

© Axel Heimken/dpa Omnipräsent im Alltag – wie hier in der Hamburger Speicherstadt, wo eine sieben Meter hohe Smiley-Skulptur per Algorithmus die aktuelle Gesamtstimmung im Stadtteil anzeigt.

Vier Jahre, nachdem er in Worcester seine kleine Firma mit dem Namen "Harvey Ball Advertising" gegründet hatte, erhielt der Werbedesigner Harvey Ball 1963 von einer großen Versicherungsgesellschaft den Auftrag, die Stimmung der Belegschaft aufzubessern. Die war ziemlich am Boden, nachdem die State Mutual Life Assurance Company aus Worcester die kleinere Guarantee Mutual Company Of Ohio in einer Art feindlichen Übernahme geschluckt hatte. Die Angestellten befürchteten Entlassungen. Was also tun? Die Versicherungsbosse planten, der Angst entgegenzuwirken, indem sie an die Arbeitnehmer 100 Ansteckbuttons verteilen lassen wollten, die für bessere Laune sorgen. Was darauf zu sehen sein sollte, das war Harvey Balls Job.

Ob er den Auftrag nicht so ganz ernst genommen hat oder ob er der Meinung war, dass der erste Einfall immer der beste ist? Auf jeden Fall setzte sich Harvey Ball hin und zeichnete mit schnellen Strichen einen gelben Kreis mit zwei Punkten und einem Halbkreis darin. Nicht mal zehn Minuten hatte er gebraucht – fertig war der Smiley.

Die Anstecker mit dem gelben Grinsen wurden ein voller Erfolg. Nicht nur bei der Belegschaft. Bald wurden sie an Kunden verschenkt, und es gingen Bestellungen aus dem ganzen Land ein. Harvey Ball hatte einen Nerv getroffen und eine Ikone der Moderne erschaffen.

Ende der 60er und Anfang der 70er trugen Hippies bei Anti-Vietnamkrieg-Demos die gelben Buttons. Auf Acid-House-Partys in den 80ern waren bunte Ecstasy-Pillen mit dem Grinsegesicht bedruckt, so dass größere Kaufhausketten aus Angst vor Image-Schäden sämtliche Smiley-Produkte aus dem Sortiment verbannten. Und Ende der 90er bekamen Smileys mit dem Aufkommen der Smartphones bald Familienzuwachs in Form der Emojis. Schon 2010 waren 722 dieser Emotikons registriert, wie viele es heute sind? Google sagt, mehr als 3000. Die meisten gehen in irgendeiner Form auf Smileys zurück. Mit gutem Recht kann Harvey Ball also auch als Großvater der Emojis gelten.

45 Dollar Honorar

In diesem Jahr wäre er 100 geworden. Wenn der am 10. Juli 1921 in Worcester/Massachusetts geborene Werbedesigner doch nur erlebt hätte, wie populär seine Smileys heute im digitalen Zeitalter sind. Schon als Kind verdiente er sich bei einem Schildermaler ein paar Cent zum Taschengeld dazu. Nach der High-School studierte er Kunst an der Worcester Art Museum School.

Während des Zweiten Weltkrieges kämpfte er in Japan und kam als verdienter Veteran zurück. Noch ein paar Jahre blieb er beim Militär, bis er als Angestellter in einer Werbeagentur anheuerte und sich 1959 schließlich selbstständig machte.

Reich wurde Harvey Ball mit seinem Geniestreich übrigens nicht. Für seinen Entwurf des Smileys bekam er gerade mal 45 Dollar als Honorar. Weil er versäumt hatte, sich seine Erfindung patentieren zu lassen, blieb es auch dabei, während andere sich eine goldene Nase verdienten.

Beispielsweise die Brüder Bernard und Murray Spain, die in den frühen 1970ern mehr als 50 Millionen Buttons und andere Produkte mit dem Smiley verkauften. Oder der französische Journalist Franklin Loufrani, der positive Nachrichten in der Zeitung France Soir mit Smileys kennzeichnete und sich durch den Erfolg angestachelt die kleinen Kerle patentieren ließ. Um keinen gerichtlichen Streit mit dem Erfinder zu riskieren, änderte er deren Gesichter leicht ab. Renommierte Firmen wie Levi’s, Agfa oder Mars (M&M) zahlten beträchtliche Summen an Loufranis Firma "The Smiley Company", die in mehr als 100 Ländern die Rechte besitzt. Laut Spiegel existierten 2011 etwa 400 Smiley-Lizenznehmer in mehr als 100 Ländern, deren jährliche Umsätze bei etwa 100 Millionen US-Dollar liegen.

Harvey Ball schaute sich das lange an. "Ich kann nur ein Steak auf einmal essen und nur ein Auto auf einmal fahren", lautete seine Devise. "Wenn ich meine Grundbedürfnisse erfüllt habe, will ich an die anderen denken, denen es nicht so gut geht."

1999 gründete er seine "World Smile Corporation" und rief den jeweils im Oktober stattfindenden "World Smile Day" aus, ein Tag, der dem "Lächeln und freundlichen Taten" gewidmet sein soll. Die Einnahmen aus dem Verkauf seiner Smileys in den USA, wo Loufrani kein Copyright besitzt, stiftete er für wohltätige Zwecke. So war am Ende sein Lachen eben doch nicht käuflich.

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