Harems und Zwangsehen: So verrückt ist das Liebesleben von Vögeln

5.5.2021, 07:49 Uhr
Wenn die Liebe Flügel hat: Zwei Papageitaucher bei der Balz.

© imago images/Nature Picture Library, NNZ Wenn die Liebe Flügel hat: Zwei Papageitaucher bei der Balz.

Wenn der Wiedehopf mit einem Blumentopf durch den Wald fliegt, dann steht eine Hochzeit ins Haus. Und wenig später versorgen Amsel und Drossel dann ein Nest voller Vogelkinder. Diese Vorstellung von der perfekten 50er-Jahre Vogelfamilie hat nur einen Haken: Sie stimmt leider nicht.

Was Beziehungen angeht, geht es auch bei unseren gefiederten Freunden lebhaft zu. Da gibt es Haubentaucher, die jeden Frühling eine neue Liebe wählen, und Krähen, die lieber ihr Leben lang Single bleiben, als mit der zweiten Wahl zu leben.

Bei Gänsen gilt dagegen: Jeder Partner ist besser als alleine sein. Praktisch jede Art von Beziehung, die bei Menschen vorkommt, findet sich im Reich der Vögel wieder, erzählt Elvira Werkman in ihrem Buch „Vögel und die Liebe“.

Die freie Journalistin und Autorin ist schon seit ihrer Kindheit leidenschaftliche Vogelbeobachterin. Sie weiß, wie individuell deren Persönlichkeit ist: „Man beobachtet verschiedenes Verhalten, manche Vögel sind sehr aggressiv, andere sind eher schüchtern und warten, bis sie an der Reihe sind, um sich Futter zu holen.“

Schwules Pinguinpaar bekommt Kind

Wie individuell die Entscheidungen von Vögeln sind, davon erzählte im Jahr 2004 auch die New York Times in ihrer Geschichte über das schwule Pinguinpärchen Roy und Silo. Die beiden, seit sechs Jahren unzertrennlich, wünschten sich wohl so sehr ein Kind, dass sie sogar versuchten, einen Stein auszubrüten.

Schließlich hatten die Pfleger im Central Park Zoo Mitleid und gaben den beiden ein befruchtetes Ei. Bei der Aufzucht ihrer Adoptivtochter waren die zwei Väter so erfolgreich, dass ihre Geschichte es bis in ein Kinderbuch schaffte.

Auch das Buch von Elvira Werkman begann mit einem Zeitungsartikel über homosexuelle Pinguine. Schlagartig hatte sie viele neue Fragen: Gibt es Homosexualität auch bei anderen Vögeln? Und überhaupt, wie funktionieren eigentlich die Beziehungen von Amseln, Tauben und Gänsen? Sind sie treu oder wechseln sie jedes Jahr den Partner? „Ich war sehr überrascht, dass ich fast nichts dazu finden konnte“, erzählt sie.


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Daher begann sie selbst zu recherchieren. Ihre erste Erkenntnis: Eine einfache Antwort gibt es nicht. Je älter Vögel einer Art werden, desto eher leben sie in einer langfristigen Beziehung, während es viele Singvögel mit der Treue nicht so genau nehmen. Letztlich gibt es aber selbst innerhalb einer Art Unterschiede.

Man nehme da nur die Heckenbraunelle. Im 19. Jahrhundert lobte der britische Pfarrer und Hobby-Ornithologe Frederick O. Morris diesen scheinbar bescheidenen braungrauen Vogel als Vorbild für seine Gemeindemitglieder.

Doppelleben bei Vögeln

Was er nicht wusste: Viele Heckenbraunellen führen ein ausgeprägtes Doppelleben. Hier pflegt ein Männchen Beziehungen mit zwei oder mehr Damen, da verschwindet ein Weibchen mit dem Nebenbuhler in die Hecke und lässt beide Herren im Glauben, sie seien als Vater für die Fütterung des Geleges verantwortlich.

Alles nur Mittel zum Zweck, um mehr gesunde Nachkommen zu bekommen? Das Max-Planck-Institut für Ornithologie führte vor einiger Zeit ein Experiment mit Zebrafinken durch. Eine Hälfte der Vögel durfte mit dem selbst gewählten Partner zusammenbleiben, die anderen wurden neu aufgeteilt.

Zwangsehen scheitern häufig

Das Ergebnis: In den Zwangsehen gab es dreimal mehr unbefruchtete Eier. „Wenn wirklich alles nur auf Fortpflanzung ausgerichtet wäre, und man ein Weibchen und ein Männchen zusammenbringt, sollten sie sich paaren und Junge haben, aber so einfach ist es nicht. Es muss also mehr geben“, meint Werkman.

Das sieht man beispielsweise beim Habicht. Die Weibchen sind mehr als wählerisch – manchmal muss ein Falkner ihnen zehn Männchen vorstellen, bis ihm eines gefällt. Hat sie sich entschieden, bleibt das Paar dann aber zusammen, solange beide leben. Dabei brütet etwa die Hälfte der Greifvögel – die bis zu 20 Jahre alt werden können – nur einmal.


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„Biologen lernten lange, dass Tiere keine Gefühle hätten, dass in der Natur alles um das Überleben und die Fortpflanzung herum organisiert sei“, berichtet Elvira Werkman. Erst seit ein paar Jahren habe sich diese Vorstellung geändert. Mittlerweile glauben immer mehr Biologen, dass auch Vögel Gefühle haben.

Auch unter Vögeln gibt es so etwas wie Liebe.

Auch unter Vögeln gibt es so etwas wie Liebe. © imago images/Lehtikuva, NNZ

Und wie sieht sie nun aus, die Liebe bei den Vögeln? Nicht selten erkennt man den Vogel an den Federn. Bei vielen Paradiesvögeln besteht die Hauptbeschäftigung des Männchens darin, immer neuen Damen sein prunkvolles Federkleid vorzuführen.

Dass die Vogelmännchen immer hübscher anzusehen sind als die Weibchen, ist aber nur ein Gerücht. Bei vielen Arten ähneln sich die Geschlechter sehr im Aussehen. Oft teilen sie sich dann die Brut und Aufzucht der Jungen. Die schönsten Männchen sind dagegen häufig eher schlechte Väter, weil ihre ganze Energie schon für das Eindruckschinden draufgeht.

Liebe geht durch den Magen

Bei anderen Vogelarten geht die Liebe sprichwörtlich durch den Magen. Schnabelgerecht servierte Fische sind beispielsweise für Eisvögel und Flussseeschwalben das Mittel der Wahl, um die Angebetete für sich einzunehmen. Und die lebenslang treuen Dohlen füttern ihre Partnerinnen gelegentlich auch außerhalb der Brutzeit, frei nach dem Motto ‚Kleine Aufmerksamkeiten erhalten die Liebe‘.

Und manchmal gehören zur Liebe eben nicht nur zwei. Dabei sind es aber nicht nur die Männchen, die sich einen ganzen Harem zulegen. Bei den Schnepfenvögeln haben die Weibchen nicht nur die schöneren Federn, sondern ergreifen auch bei der Balz die Initiative.

Nach der Paarung legen sie lediglich die Eier – und dann sind sie schon auf dem Weg zum nächsten Partner, während das Männchen die Kinder alleine großzieht. Was nach der sprichwörtlichen Rabenmutter klingt – übrigens ein völlig falsches Vorurteil – ist im kurzen Polarsommer effizient.


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Noch extremer geht es beim Galapagosbussard zu. Bis zu acht Männchen kann das Weibchen hier in seinem Harem versammeln, die sich alle gemeinsam um ein einziges Jungtier kümmern.

Auch bei Vögeln geht Liebe oft durch den Magen.

Auch bei Vögeln geht Liebe oft durch den Magen. © imago images/Ardea, NNZ

Ob man all das wirklich als Liebe bezeichnen sollte, darüber streiten die Forscher. Und doch erkennt man manche Gefühle am Verhalten der Vögel.

Vorher selbstbewusste Gänse, die nach dem Tod des langjährigen Partners plötzlich apathisch am Ort verharren, oder Dohlen, die sich fernab der Paarungszeit liebevoll das Gefieder pflegen, sind ein Zeichen, dass Trauer und Fürsorge auch für Vögel real sind.

Und dann ist da noch die Geschichte eines niederländischen Schwanenpaares, dessen Männchen wegen einer Verletzung ins Tierheim musste. Beim Wiedersehen zwei Wochen später waren beide dann völlig aus dem Häuschen und begrüßten sich mit liebevoller Balz.

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