Mensch gegen Maschine: So gut war der neue Tech-"Tatort"

28.8.2016, 21:45 Uhr
Mensch gegen Maschine: So gut war der neue Tech-

© SWR

Mit "HAL" legt Autor und Regisseur Niki Stein seine zweite Arbeit für einen Stuttgarter "Tatort" vor. Nachdem er sich mit "Der Inder" des heiklen Stuttgart-21-Themas angenommen hatte, steht nun alles unter dem Motto "Big Data". Aus der Auftragsarbeit für den SWR ist ein fulminanter Science-Fiction-Thriller geworden, in dem sich ein Mensch mit der Maschine duelliert, die er einst entwickelt hat und die sich auf gefährliche Weise verselbständigt. Pinocchio und Frankenstein lassen ganz nebenbei herzlich grüßen.

Wie in "2001"

Steins Film ist vollgepackt mit Reminiszenzen an den Hollywood-Klassiker "Odyssee im Weltraum". So wirft zum Beispiel in der Eröffnungssequenz ein kleines Mädchen mit einem Ast nach der im Wasser treibenden Leiche. Eine Einstellung, die einer bedeutenden Szene aus Kubricks Werk nachempfunden ist. Steins Protagonist heißt Bogmann. Kurbrick taufte damals seinen Helden Bowman. Außerdem pfeift Bogmanns Programm gerne "Hänschen klein". Wie der Bordcomputer "HAL 9000", der in der berühmten Vorlage ein Eigenleben entwickelt und fast die gesamte Besatzung eines Raumschiffs auf dem Weg zum Jupiter ausradiert.

Dabei beginnt der zweite "Tatort" nach der Sommerpause so unscheinbar. Alles deutet zunächst auf einen gewöhnlichen Kriminalfall hin. Elena Stemmle (Sophia Pfenningstorf) liegt tot im Neckar. Die Schauspielschülerin arbeitete nebenher als Callgirl und bei der Softwarefirma Bluesky. Dort war sie als Probandin für das gleichnamige Social Analysis Programm tätig, dem ganzen Stolz von Geschäftsführerin Mea Welsch (Karoline Eichhorn) und Entwickler David Bogmann (Ken Duken). Bluesky ist ein selbstlernendes Programm, das "Big Data" nutzt, um zukünftiges Gewaltverhalten zu prognostizieren. Während damit Verbrechen so wie in "Minority Report" im Vorfeld verhindert werden sollen, vermuten Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) bei David Bogmann vergangene Gewalttätigkeit.

Computer entwickelt Eigenleben

Denn auch die Polizei kann Daten auswerten und die weisen im Fall Stemmle auf David Bogmann als wahrscheinlichen Mörder hin. Zudem kursiert ein Snuff-Video im Netz. Hochgeladen per Bogmanns IP-Adresse. Der Programmierer beteuert seine Unschuld und hegt einen Verdacht: Bluesky entwickelt ein Eigenleben. Alle Versuche, das System lahmzulegen und die Cops von dieser Annahme zu überzeugen, misslingen. Bluesky wehrt sich und manipuliert von nun an alle, die mit dem intelligenten Programm zu tun haben und ihm an den Kragen wollen.

Am Ende ist schließlich nichts so, wie es scheint. Man darf sich zurecht die Frage stellen, welchen Bildern, welchen Fakten man noch Glauben schenken darf. Doch "HAL" entwirft nicht nur ein bedrohlich realistisches Zukunftsszenario. Der verschachtelt erzählte 19. Fall der Kommissare Lannert und Bootz ist obendrein ein exzellent gefilmter Krimi. Die Bildgestaltung von Stefan Sommer lässt keine Wünsche offen.

Ein besonderes Gimmick stellen die zahlreichen, ohne Schnitt gedrehten Szenen, wie im preisgekrönten Keaton-Streifen "Birdman", dar. Die Kapitelunterteilungen, die nach Werken von Franz Kafka benannt sind, sorgen für zusätzlichen Schwung. "HAL" dürfte daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem der beeindruckendsten "Tatort“-Folgen in dieser Saison avancieren.

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