NDR-"Tatort": Von Jägern, die zu Gejagten werden

22.4.2018, 21:45 Uhr
In "Alles was Sie sagen" versuchen Falke und Grosz, einen vermeintlichen Kriegsverbrecher dingfest zu machen.

© NDR/Christine Schroeder In "Alles was Sie sagen" versuchen Falke und Grosz, einen vermeintlichen Kriegsverbrecher dingfest zu machen.

Bemerkenswerte 8,68 Millionen Zuschauer sahen den mit der Einsamkeit verheirateten fränkischen Ermittlern Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) und Felix Voss (Fabian Hinrichs) am vergangenen Sonntag dabei zu, wie sie sich auf eine schwermütige Tour de Force begaben und nahe am Abgrund taumelnd dem Mord an ein libysches Geschwisterpaar auf den Grund gingen.

Wie man allerdings den Reaktionen im Nachgang entnehmen konnte, hatten einige Teile des Publikums offenbar gewisse Schwierigkeiten, der ästhetisch inszenierten und mit eleganter Musik veredelten Geschichte, in der die darin vorkommenden Grausamkeiten nie voyeuristisch und rücksichtslos dokumentiert wurden, vom Anfang bis zum Ende lückenlos zu folgen.

Mit Matthias Egersdörfer gestand sogar ein hochrangiges Ensemblemitglied des Films in einem Interview auf nordbayern.de, dass weder er noch seine Frau den Inhalt von "Ich töte niemand" komplett verstanden hätten. Erst eine Kollegin, die mit ihm gerade in Bayreuth am fünften Fall aus Franken arbeite, habe Licht ins Dunkel hineintragen können. "Die hat gsacht, wie alles zamhängt", raunzte der Kabarettist mit bleierner Miene ins Mikrofon der Reporterin.

Interner Ermittler stellt bohrende Fragen

Dramaturgisches Dunkel dominiert auch den vierten gemeinsamen Fall von Falke (Wotan Wilke Möhring) und Grosz (Franziska Weisz). Schließlich bleibt in "Alles was Sie sagen" lange Zeit vieles wie hinter einer dichten Nebelbank verborgen. Klar ist bis zum Finale nur eins: Dem "Jungen aus dem Beton" und der spröden Afghanistan-Rückkehrerin unterläuft bei einem Einsatz in Lüneburg ein folgenschwerer Fehler.

Denn bei der Festnahme eines vermeintlichen Kriegsverbrechers, der als Vorzeigeflüchtling getarnt in Deutschland lebt, kann der Verdächtige dem Klicken der Handschellen entkommen. Die Ehefrau stirbt bei dem nächtlichen Zugriff in einer leerstehenden Lagerhalle im Kugelhagel. Aus wessen Waffe geschossen wurde, ist zunächst ungewiss.

Interne Ermittlungen sollen daher klären, weshalb die Operation aus dem Ruder gelaufen ist. In einem kargen lichtleeren Raum liefert Regisseur Özgür Yildirim, der die Figur Falke einst mitentwickelte, seine von Möhring und Weisz hinreißend verkörperten Kommissare nun den bohrenden Fragen von Joachim Rehberg (Jörn Knebel) aus und macht so aus den zwei Jägern plötzlich zwei Gejagte.

Spielen die Kommissare ein falsches Spiel?

Diese Verhörrunden erinnern in ihrem Wesen an den Münchner Fall "Der Tod ist unser ganzes Leben". Dank der gelungenen Bildmontage von Matthias Bolliger sind die Aussagen der getrennt voneinander befragten Protagonisten elegant miteinander verwoben. Sie besitzen einen kammerspielartigen Charakter und produzieren außerdem eine gewisse klaustrophobische Enge. Weil der Kameramann vorwiegend mit sehr lichtempfindlichen Gerätschaften arbeitete, konnte er darüber hinaus auch viele Ereignisse, die in der Dämmerung oder Dunkelheit spielen, gut festhalten und damit eine ganz besondere Atmosphäre kreieren.

So wie etwa die mittels Rückblenden für den Beobachter visualisierten Erinnerungen der beiden Hauptdarsteller an die misslungene nächtliche Operation. Darin wird zudem deutlich, dass Möhring und Weisz offenbar unterschiedliche Realitäten erlebten. Ihre Versionen weichen gravierend voneinander ab. Der Zuschauer darf spekulieren, welche ihm angebotene Wahrheit der Realität entspricht und was pure Einbildung ist. Des Weiteren drängt sich zunehmend der Verdacht auf, dass mindestens einer der zwei Kommissare ein falsches Spiel zu spielen scheint. Versuchen sich die Polizisten, die bisher nicht miteinander warm geworden sind, etwa gegenseitig auszubooten? Alles wirkt wie ein großes Rätsel.

Bis zum tollen Showdown, auf den der trotz seines noch jungen Alters bereits sehr erfahrene Regisseur Özgür Yildirim Stück für Stück zuarbeitet und ihn letztendlich perfekt inszeniert. Daher legt der Filmemacher abermals keinen klassischen "Tatort" im Whodunit-Muster vor, sondern entwirft einen äußerst unterhaltsamen Krimi mit sehr speziellem Erzählrhythmus und zwei Ermittlern im Zentrum des Geschehens, die sich am Ende von neunzig aufreibenden Minuten dann doch näher stehen als je zuvor.

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