"Tatort" aus Dortmund: Viel Stille und Endzeitstimmung

3.5.2015, 21:45 Uhr

© WDR/Thomas Kost

Kein Mord, keine Inszenierung eines Verbrechens, keine typische sonntagabendliche Idylle in Krimideutschland mit Kunstblut und Messer im Rücken. In Dortmund schließen sich die Fälle nicht, sondern eine übergreifende Handlung steht hier über dem Verbrechen. Deswegen startet "Schwerelos" unmittelbar mit seinen vier Ermittlern.

Unabhängig voneinander verliert das Team an ganz unterschiedlichen Punkten in ihrem Leben den Halt. "Schwerelos" - der Titel dieser Folge – bezieht sich nicht nur auf den Fall, sondern auch auf die Charaktere.

Etwa gleich zu Beginn, wenn Kommissarin Martina Bönisch (Anna Schudt) in eine Dortmunder Klinik auf der Suche nach ihrem 15-jährigen Sohn eilt. Ihr zieht es den Boden unter den Füßen weg, sie hängt in der Schwebe. Ohne Schwere. Wie zufällig scheint es da, dass ausgerechnet in diesem Moment ein Mann schwerverletzt vor der Notaufnahme liegt. Doch das ist kein Zufall, sondern der Einstieg in den Fall.

Allerdings kommentiert dieser "Tatort" das nicht weiter, sondern lässt bei den drei Kollegen von Bönisch die Handys klingeln. Hauptkommissar Peter Faber (Jörg Hartmann) spielt gerade ein nächtliches Tennisspiel gegen sich selbst, Kollege Daniel Kossik (Stefan Konarske) vergnügt sich im Dunkel des Dortmunder Nachtlebens mit einer Fremden auf der Tanzfläche, während dessen seine Exfreundin und Kollegin Nora Dalay (Aylin Tezel) zu Hause wachliegt. Ohne es unnötig erneut zu erklären – im Duktus anderer "Tatorte", deren Figuren alles zerreden - , knüpt diese Folge so wieder an die Geschichten der Ermittler an.

Schwereloses Ineinandergreifen

Der schwerverletzte Mann, Leo Janek, liegt da schon auf der Intensivstation im Koma. Die Einschätzung seines Zustandes übernimmt die Rechtsmedizinerin: "Wenn der eine Patientenverfügung hat, hab ich den in ein zwei Tagen auf dem Tisch." Schnell stellt sich heraus, dass das Opfer Fallschirmspringer ist. Doch Janek wird so nicht zum Mittelpunkt der Geschichte, die Aufmerksamkeit haben weiter die Kommissare.

Die Ermittlungen führen erst in die beeindruckende Tristesse des stillgelegten Hochofens Phoenix West, wo Leo Janek sich bei einem missglückten Sprung seine Verletzungen zuzog, danach zu seinen drei Freunde Jules, Joanna und Frank. Höhe und Fall, Himmel und Erde, das sind die Gegensätze, an denen sich nicht nur die Geschichte abarbeitet: Jeder Zoom, jeder Schwenk und jedes Spiel mit der Tiefe in der Bildkomposition reiht sich fast unbemerkt in die Erzählung.

Doch anstatt am Fall zerreiben sich die Kommissare an ihren eigenen Befindlichkeiten. Dalay springt gemeinsam mit Janeks Freund in die Tiefe, Kossik nimmt unerlaubt Blutproben. Es dauert über eine halbe Stunde bis in dieser Folge mal jemand über ein Mordmotiv nachdenkt.

Nur Hauptkommissar Faber bleibt dazu überraschend konfliktlos. Dafür teilt Kommissarin Böhnisch, noch immer auf der Suche nach ihrem Sohn, umso deutlicher aus, als Dalays und Kossiks unerlaubte Ermittlungen auffliegen: "Euch hat man doch ins Gehirn geschissen", schreit sie, obwohl sie keine fünf Minuten vorher von einem Kollegen eine unerlaubte Überprüfung angefordert hat.

Mit ruhigen Bildern nimmt der "Tatort" dann die Wucht des Aufpralls, wenn die Lösung für den Fall auftaucht. Janeks neunjähriger Sohn tötet hier fahrlässig, nimmt unwissentlich in Kauf, dass sein eigener Vater stirbt, weil dieser ihn verletzte. Die Größenordnung dieser Tat und die Wucht des Drastischen lassen sich nur durch das langsame und starke Erzähltempo ertragen, ebenso wie die Schuldgefühle eines Kindes.

Dieser "Tatort" hält viel aus und erklärt wenig mit Worten. Ein Blick, eine Umarmung, ein sorgenvoller Ausdruck, Trauer und immer wieder der Schwenk ins Licht, die aufgehende Sonne. Irgendwo zwischen Poetik und solidem Können nimmt er den Zuschauer mit in das Leben anderer hinein und entlässt ihn dann wieder. Dazwischen gibt es immer wieder kleine Aussichten auf glückliche Enden – für Dalay und Kossik, für Bönisch, deren Sohn wieder auftaucht, und auch ein wenig für Fabers Trauer. Aber dieser "Tatort" erzählt das nicht bis zum Ende. Es wird stehengelassen. Ausgehalten.

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