Alltag als Schulfach? Schüler müssen Lernen lernen

26.6.2019, 18:20 Uhr
Schüler in Wendelstein kämpfen sich durch das Abitur. (Archivbild)

© Robert Gerner Schüler in Wendelstein kämpfen sich durch das Abitur. (Archivbild)

Diese Woche feiern die Abiturienten in Bayern ihren Schulabschluss. Sie können jetzt Gedichte analysieren, mathematische Kurven diskutieren und die Formel für Photosynthese aufschreiben. In den vergangenen Wochen haben sie wahrscheinlich so viel gelernt wie noch nie zuvor in ihrem Leben und zelebrieren diesen Meilenstein nun auch völlig zu Recht.

In den Wochen danach werden sie allerdings merken, wie schwierig es jetzt trotzdem ist, sich für ein Studienfach zu entscheiden, einen Mietvertrag zu unterschreiben oder sich vielleicht zum ersten Mal selbst zu versichern und zu versorgen. Wer anfängt, zu studieren, lernt schnell, wie viel er trotz all der Jahre in der Schule noch nicht weiß. Für viele Klausuren in der Uni ist so viel Paukerei nötig wie für alle Abi-Prüfungen zusammen. Immer wieder beklagen Professoren, dass angehende Studenten zu wenig können, vor allem in Mathe seien sie ungenügend auf die Anforderungen an der Universität vorbereitet.

 

Um diesem Ungleichgewicht entgegenzuwirken, fordern Politiker, Eltern, Schüler, Bildungsexperten und Lehrervertreter in regelmäßigen Abständen neue Schulfächer. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hätte gerne "Alltagskompetenz und Lebensökonomie" auf dem Lehrplan stehen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will das Thema Organspende in die Schulen bringen.

Es ist richtig, immer wieder zu prüfen, wie zeitgemäß Lehrpläne sind. Nordrhein-Westfalen etwa führt ab August das Fach Wirtschaft neu an Gymnasien ein, was es in Bayern schon seit Jahrzehnten gibt. Schüler lernen darin grundlegende ökonomische Begriffe und Systeme kennen, aber auf dem Lehrplan steht auch wirtschaftliches Handeln privater Haushalte, also der Umgang mit Geld, Konsumentscheidungen, Steuern und das Sozialsystem – also lauter lebenspraktische Dinge.

Wissen vergeht, Methode bleibt

Doch wer denkt schon an den Unterricht der neunten Klasse zurück, wenn er mit 18 Jahren einen Mietvertrag unterschreibt? Solange man nicht selbst in der Situation steckt, fehlt oft der Bezug und man vergisst das Gelernte mit der Zeit wieder.

Was die Schule daher wirklich vermitteln muss und auch schon vermittelt, ist nicht noch mehr Inhalt, sondern Herangehensweisen und Techniken, sich Neues anzueignen und sich damit auseinanderzusetzen. Wissen vergeht, Methoden bleiben.

Die Themen Ernährung, Gesundheit und Nachhaltigkeit, die Söder in dem neuen Fach sehen will, kommen schon jetzt im Grundschullehrplan vor. Über Organspende diskutieren Schüler bereits im Ethikunterricht.

Um Kompetenzen wie Teamfähigkeit und Lösungsorientierung zu entwickeln, braucht es keine neuen Fächer, sondern in den bestehenden genügend Zeit. Dann können Schüler Lernen lernen und nicht nur zuhören.

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