Der Fall von Al-Rakka: Warum der IS noch nicht besiegt ist

19.10.2017, 10:29 Uhr
Der Fall von Al-Rakka: Warum der IS noch nicht besiegt ist

© Foto: Uncredited/Hawar News Agency/dpa

Nach einem mehrmonatigen Kampf mit mehr als 4500 Luftangriffen auf das Stadtgebiet ist die syrische Islamisten-Hochburg Al-Rakka gefallen, das von der Terrormiliz IS errichtete "Kalifat" am Ende. Das hört sich erst einmal gut an. Doch was dies für die Region und den Rest der Welt bedeutet, ist völlig ungewiss.

Eines soll hier nicht kleingeredet werden: Diese militärische Niederlage schwächt den IS empfindlich. Al-Rakka galt als dessen heimliche Hauptstadt, von wo aus militärische Offensiven geplant und Attentäter losgeschickt wurden, sehr wahrscheinlich auch in Richtung Europa. Aber der Jubel darüber, dass der Schlange nun der Kopf abgeschlagen wurde und die Terrormiliz damit dem Untergang geweiht ist, ist verfrüht.

Der Fall von Al-Rakka: Warum der IS noch nicht besiegt ist

© Foto: Asmaa Waguih/dpa

So hierarchisch ist die Organisation nicht aufgebaut - es bleibt ein virtuelles 'Kalifat', mit hässlich viel Einfluss über das Internet. Anschläge wie in Berlin, wo ein Mann mit einem Lastwagen in einen belebten Weihnachtsmarkt fuhr, sind nach wie vor jederzeit denkbar.

Soll heißen: Die terroristische Bedrohung ist womöglich eine Weile eingedämmt, aber beseitigt ist sie nicht. Die krude Ideologie des dschihadistischen Salafismus hatte genug Zeit, sich in den Köpfen vieler wütender Jugendlicher festzusetzen, die in Staaten wie dem Irak oder Syrien, dem Jemen, Tschetschenien oder auch den Palästinesischen Gebieten keine Chance auf Zukunft haben. Sie sind für salafistische Einflüsterer eine leichte Beute und dank Internet und Smartphone jederzeit an jedem Punkt der Erde erreichbar. Nachwuchssorgen kennt der islamistische Terror nicht.

Mittlerer Osten bleibt ein Brandherd

Und noch ein auf einer anderen Ebene erscheint der Sieg über die Islamisten in Al-Rakka weniger Probleme zu lösen als neue zu kreieren: Der Fall der Stadt belegt, wie ungeheuer kompliziert immer noch die Lage in Syrien ist - und dass dieses schwer geschundene Land von einer Befriedung weiter entfernt ist denn je. Dazu muss man sich nur die handelnden Akteure ansehen. Die kurdischen YPG-Einheiten, die den IS in Al-Rakka bekämpften, wurden von den USA unterstützt und mit Waffen versorgt. Diese Milizionäre beobachten nun, wie sich im Nachbarland Irak ihre Brüder und Schwestern mit der Zentralregierung in Bagdad bekriegen, die ein autonomes Kurdistan verhindern will - ebenso wie die Türkei, der ein militärischen Einschreiten in Nordsyrien jederzeit zuzutrauen ist.

Während im Fall des IS ein schneller Erfolg hermusste (und auch erreicht wurde), hat sich in Washington oder anderswo augenscheinlich niemand Gedanken gemacht, wie man den gesamten Brandherd Mittlerer Osten etwas entschärfen kann.

Die Menschen dort brauchen aber zumindest die Aussicht darauf, dass ein Gleichgewicht in der in Trümmern liegenden Region wiederhergestellt werden kann. Sie brauchen die Aussicht auf Frieden, sei er anfangs auch erst einmal lokal begrenzt. Das wäre obendrein auch noch die beste vorstellbare Terrorbekämpfungsmaßnahme. 

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