Der Fall Yücel: Die Türkei hebelt den Rechtsstaat aus

12.2.2018, 12:55 Uhr
Der Fall Yücel: Die Türkei hebelt den Rechtsstaat aus

© Karlheinz Schindler (dpa)

Unter den vielen Geschichten von inhaftierten Regierungskritikern in der Türkei ragt der Fall Deniz Yücel als Besonderheit heraus. Nicht, weil Yücel neben dem türkischen auch den deutschen Pass besitzt. Auch nicht, weil er Journalist ist oder weil seine Haft die Beziehungen zwischen der Türkei und einem wichtigen westlichen Partner belastet – für all das gibt es unter den vielen tausend Inhaftierten auch andere Beispiele. Einzigartig ist bei Yücel, dass trotz seiner jetzt einjährigen Haftzeit noch keine Anklageschrift vorliegt.

Die Türkei weiß nicht, was sie mit Yücel anfangen soll. Diese Tatsache ist ein Jahr nach seiner Festnahme am 14. Februar 2017 niederschmetternd für den Reporter – aber auch eine Chance.

Das Fehlen der Anklageschrift ist deshalb wichtig, weil sich die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan große Mühe gibt, die Verfolgung von unbequemen Kritikern mit dem Verweis auf den Rechtsstaat zu begründen. Selbst wenn die angeblichen Beweise absurd sind – mitunter genügt der Besitz einer Ein-Dollar-Note, weil Erdogans Erzfeind Fethullah Gülen solche Geldscheine an seine Gefolgsleute verteilt haben soll: Normalerweise werden die Verdächtigen irgendwann vor Gericht gestellt. Yücel aber bleibt in seiner Zelle.

Bei ihm gebe es möglicherweise geheimdienstliche Erkenntnisse, die auch ohne Anklage den Verbleib des Reporters hinter Gittern erforderten, sagen Regierungsvertreter etwas hilflos. Kritiker werten das bisher vergebliche Warten auf die Anklage als Zeichen dafür, dass die Justiz, die in den vergangenen Jahren auf Regierungslinie gebracht wurde, auf Anweisung wartet.

Indem sie den Fall Yücel bewusst vage hält, signalisiert die türkische Seite ihre Bereitschaft, mit den Deutschen zu einer Verständigung zu kommen. Yücel gegen Panzer? Yücel gegen die Auslieferung von Gülen-Leuten aus Deutschland? Das Problem liegt darin, dass jede Art von Tauschhandel für die Bundesregierung innenpolitisch unmöglich – und illegal – wäre. Ein Deal ist aus türkischer Sicht denkbar, von deutscher Warte aus aber ausgeschlossen: Diese Sackgassen-Situation ist der Grund dafür, dass Yücel immer noch sitzt.

Allerdings naht für Ankara die Stunde der Entscheidung. Irgendwann in den nächsten Monaten wird der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg über Klagen von Yücel und anderen Häftlingen entscheiden: Spätestens dann muss die Türkei reagieren, weil sie als Mitglied des Europarats die Urteile der Europa-Richter nicht einfach ignorieren kann. Das ist ein Hoffnungsschimmer.

Verwandte Themen


9 Kommentare