Erdogan: Warum an diesem Staatsbesuch nichts normal ist

28.9.2018, 19:23 Uhr
Erdogan: Warum an diesem Staatsbesuch nichts normal ist

© Michael Kappeler/dpa

Keine Entschuldigung für die Nazi-Vergleiche, statt dessen als Gastgeschenk eine lange Liste mit Auslieferungs-Forderungen und eine beinahe geplatzte Pressekonferenz: Nichts ist normal am Erdogan-Besuch, da mag die Bundeswehr noch so zackig präsentieren und der Bundespräsident seine Gäste noch so galant ins Innere von Schloss Bellevue geleiten. Wenn so der Erdogan aussieht, der in Erwartung dringend benötigter Geldgeschenke Kreise gefressen hat, möchte man sich das Original nicht zurückwünschen. Aber deshalb gute Miene zum bösen Spiel machen?


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Kanzlerin Merkel, der manche schon mangelndem Führungswillen attestiert hatten, hat zu alter Form zurückgefunden. Sie sprach von unverändert "tiefgreifenden Differenzen" und korrigierte damit den allzu versöhnlerischen Auftritt ihres Außenministers in Ankara vor gut drei Wochen. Maas tat dort schließlich so, als seien die inhaftierten Deutschen quasi das einzige Hindernis für bessere Beziehungen. Nun wird endlich auch über Erdogans Moschee-Spitzel in Deutschland geredet und über die Folgen seiner diktatorischen Ambitionen für Millionen freiheitsliebender Menschen in der Türkei selbst – soweit sie sich nicht ohnehin schon in den Gefängnissen des neuen Sultans befinden.

Versteckte Drohungen

Tatsächlich verfolgt Erdogan bei seinem Besuch in Deutschland eine perfide Strategie. Die angesichts der zunehmenden Unzufriedenheit in seinem Land dringend benötigte Wirtschaftshilfe will er sich weniger durch politische Zugeständnisse als durch versteckte Drohungen sichern. 1,7 Millionen Türken leben in Deutschland und es ist Erdogans offensichtliches Ziel, diese Menschen als Druckmittel einzusetzen. Die fortgesetzten Bemühungen des türkischen Präsidenten, die Integration seiner Landsleute in ihrer neuen Heimat durch eine entschieden islamistische und nationalistische Propaganda zu behindern, lassen daran kaum Zweifel. Erdogan braucht dazu nicht einmal mehr fanatische Reden: Eine Krawatte in der Farbe des Propheten oder der Gruß der Muslim-Bruderschaft sind klare Signale an seine hierzulande lebenden "Untertanen".

Wer Erdogan das Wasser abgraben will, muss dafür sorgen, dass sich vor allem die jungen Türken in Deutschland wirklich zuhause fühlen können. Fremdenhasser, die den türkischen Kfz-Lehrling und den Asyl-Betrügers über einen Kamm scheren, betreiben damit nur das Geschäft eines Machthabers, dessen Weltbild und Politikverständnis dem ihren näher ist, als sie wahrhaben wollen.

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