Hartz IV braucht keine Revolution, sondern eine Reform

12.1.2021, 10:09 Uhr
Aufräumen müsste eine Reform auch endlich mit der Praxis seitenlanger Hartz-IV-Bescheide, die für die Betroffenen kaum verständlich sind und für die Jobcenter-Mitarbeiter viel Arbeit bedeuten.

© Ralf Hirschberger Aufräumen müsste eine Reform auch endlich mit der Praxis seitenlanger Hartz-IV-Bescheide, die für die Betroffenen kaum verständlich sind und für die Jobcenter-Mitarbeiter viel Arbeit bedeuten.

Die Frage, ob der Staat von seinen Bürgern etwas zu "fordern" hat oder ob er nicht verpflichtet ist, diesen Bürgern in Notlagen bedingungslos Unterstützung zu gewähren, ist dabei durchaus legitim - ebenso wie die unterschiedlichen Antworten, die Parteien darauf finden. Gute Politik wird sich deshalb immer um einen Ausgleich bemühen.

Eine unbequeme Wahrheit

Die für viele unbequeme Wahrheit: Hartz IV schafft - nach Reformen und Richtersprüchen - durchaus einen solchen Ausgleich. Einen Ausgleich zwischen einerseits dem Anspruch von Menschen, nach dem Verlust des Arbeitsplatzes die Unterstützung der Solidargemeinschaft zu erhalten, und andererseits der berechtigten Erwartungshaltung etwa von Beschäftigten, die Tag für Tag zur Arbeit gehen und Steuern zahlen, dass Grundsicherungsbezieher nicht wiederholt Termine beim Jobcenter platzen lassen oder zumutbare Arbeit ablehnen. So zu tun, als gebe es dieses Phänomen nicht, ist dabei ebenso unehrlich wie zu behaupten, Erwerbslose seien in großer Zahl arbeitsscheu.

Sanktionen grundsätzlich abzuschaffen, hieße, dieses System des Ausgleichs aufzugeben. Ja, bei Hartz IV läuft einiges falsch, aber das System braucht keine Revolution. Sondern eine Reform. Der wichtigste Ansatzpunkt: die kleinlichen Hinzuverdienstregeln. Gerade einmal 100 Euro dürfen Grundsicherungsbezieher, die einen Nebenjob machen, für sich behalten. Wer mehr verdient, muss sich einen Großteil davon auf seine Hartz-IV-Bezüge anrechnen lassen. Einfacher formuliert: Es lohnt sich kaum, für mehr als ein paar Stunden zu arbeiten.

Aufräumen müsste eine Reform auch endlich mit der Praxis seitenlanger Hartz-IV-Bescheide, die für die Betroffenen kaum verständlich sind und für die Jobcenter-Mitarbeiter viel Arbeit bedeuten – Zeit, die besser darin investiert wäre, Anbietern fragwürdiger Qualifizierungsmaßnahmen auf die Finger zu sehen. Eine solche Reform würde wohl auch eine politische Mehrheit finden können.

Gerster: "Partei der Arbeit oder der Arbeitslosen?"

Das gilt umso mehr, als SPD-Minister Hubertus Heil nun einen fast pragmatischen Reformvorschlag vorgelegt hat, in dem erstaunlicherweise keine Rede mehr davon ist, Hartz IV zu "überwinden", wie es die SPD noch vor zwei Jahren anstrebte. Damals hatte unter anderem Florian Gerster, früherer Chef der Bundesagentur für Arbeit, der SPD unter der provokanten Überschrift "Partei der Arbeit oder der Arbeitslosen?" vorgehalten, sie verliere ihre Kernzielgruppe aus den Augen. Ein Vorwurf, der offenbar gesessen hat.

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