Hunderttausend gegen Lukaschenko in Belarus - Militär droht

23.8.2020, 21:22 Uhr
Ein Mann schwenkt eine historische belarussische Flagge vor einer Barrikade von Bereitschaftspolizisten. Tausende Demonstranten versammeln sich zu einem Protest gegen den Präsidenten Lukaschenko.

© Sergei Grits, dpa Ein Mann schwenkt eine historische belarussische Flagge vor einer Barrikade von Bereitschaftspolizisten. Tausende Demonstranten versammeln sich zu einem Protest gegen den Präsidenten Lukaschenko.

Mehr als 100.000 Menschen haben trotz Warnungen von Polizei und Militär vor einem Demonstrationsverbot in Minsk gegen Machthaber Alexander Lukaschenko protestiert. "Hau ab!", skandierten die Menschen in Sprechchören am Sonntag auf dem Unabhängigkeitsplatz der Hauptstadt von Belarus (Weißrussland). Anschließend gab es einen friedlichen Protestzug durch Minsk - und scharfer Beobachtung von Uniformierten. Die Polizei warnte in Lautsprecherdurchsagen immer wieder vor der Teilnahme an der ungenehmigten Kundgebung.

Staatschef Lukaschenko hatte mit "hartem Durchgreifen" gedroht, um die Ex-Sowjetrepublik wieder zur Ruhe zu bringen. Allerdings war die Menge auf den Straßen so groß, dass die Polizei dem nichts entgegensetzen konnte. Einige oppositionelle Plattformen im Internet schätzten die Zahl auf 200.000 Menschen - etwa so viele wie am Sonntag vor einer Woche, als es zum ersten Mal überhaupt Proteste in dieser Größenordnung gab. Sie gelten als historisch.

Das Verteidigungsministerium warnte in einer Mitteilung: "Falls es Störungen der Ordnung oder Unruhen auf diesen Plätzen geben sollte, werden Sie es schon nicht mehr mit der Miliz zu tun bekommen, sondern mit der Armee." Lukaschenko hatte immer wieder damit gedroht, notfalls auch die Armee zur Sicherung seiner Macht einzusetzen. Viele Bürger in Belarus betonen aber seit Wochen, dass sie keine Angst mehr hätten vor "Europas letztem Diktator".

Auch in anderen Städten kommt es seit der umstrittenen Präsidentenwahl am 9. August täglich zu Protesten und Streiks in den Staatsbetrieben. Die von Vorwürfen beispiellosen Betrugs begleitete Präsidentenwahl hat die größte innenpolitische Krise des Landes ausgelöst. Lukaschenko hatte sich nach 26 Jahren an der Macht mit 80 Prozent der Stimmen zum sechsten Mal in Folge zum Sieger der Präsidentenwahl erklären lassen.

Minsk: Bereitschaftspolizisten mit Schutzschildern bewachen einen Protest. 

Minsk: Bereitschaftspolizisten mit Schutzschildern bewachen einen Protest.  © Dmitri Lovetsky, dpa

Die Opposition beansprucht den Wahlsieg für die 37 Jahre alte Fremdsprachenlehrerin Swetlana Tichanowskaja. Sie ist aus Angst um ihre Sicherheit und die ihrer Kinder in das EU-Nachbarland Litauen geflohen. Von dort aus versucht sie, die Bewegung mit Videobotschaften zu steuern. Die EU hat die Wahl nach den Fälschungsvorwürfen und der anschließenden Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten nicht anerkannt. Länder wie Russland und China hingegen haben Lukaschenko zum Sieg gratuliert.

In den ersten Tagen der Proteste hatte es massive Polizeigewalt gegen die friedlichen Demonstranten gegeben. Hunderte Menschen wurden verletzt. Die Zahl der Toten stieg am Samstag von drei auf vier. Wie das Menschenrechtszentrum Wesna mitteilte, wurde ein seit dem 12. August vermisster 28-Jähriger in einem Park gefunden. Die Todesursache war unklar.

Streitkräfte in volle Gefechtsbereitschaft versetzt

Die Opposition hat den Machtapparat mit Unterstützung der EU und Russlands zum Dialog für einen Ausweg aus der Krise aufgerufen. Lukaschenko hat dies abgelehnt. Er machte bei einem Besuch bei den Streitkräften im Gebiet Grodno im Westen des Landes am Samstag einmal mehr deutlich, dass er die Proteste vom Ausland - und zwar von den EU- und Nato-Nachbarländern Polen und Litauen - aus gesteuert sieht. Beweise lieferte er nicht, er behauptete aber auch, dass es gegen Belarus gerichtete Nato-Truppenbewegungen an der Westgrenze gebe.

Der Staatschef versetzte die Streitkräfte in volle Gefechtsbereitschaft – zum ersten Mal in seinem Vierteljahrhundert an der Macht, wie er sagte. Lukaschenko trat in Grodno auch bei einer Kundgebung vor Unterstützern auf. Er warnte vor einer Revolution und sagte, dass die Nato zur Unterstützung Tichanowskajas bereit sei, in das Land einzumarschieren. Verteidigungsminister Viktor Chrenin warnte, dass für einen solchen Fall der Nachbar Russland militärisch zur Stelle sein werde.

Nachbarstaaten äußern sich

Polen und Litauen wiesen die Vorwürfe kategorisch als unbegründete Stimmungsmache zurück. "Das Regime versucht, die Aufmerksamkeit um jeden Preis von den internen Problemen von Belarus abzulenken, indem es völlig unbegründete Aussagen über imaginäre externe Bedrohungen macht", sagte Litauens Staatschef Gitanas Nauseda in Vilnius am Sonntag der Agentur BNS.


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Die Souveränität und territoriale Integrität aller Staaten sei eine Grundlage des internationalen Rechts, für das sich Polen stets einsetze. Das sagte der außenpolitische Berater von Präsident Andrzej Duda, Krzysztof Szczerski, der Agentur PAP zufolge. "Es betrübt und verwundert uns daher, dass in der Propaganda der Führung von Belarus suggeriert wird, Polen habe die Absicht, die territoriale Integrität dieses Landes zu verletzen."


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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in seinem mit Belarus eng verbundenen Nachbarland im Interview des Fernsehsenders Euronews, dass er an Lukaschenkos Stelle Neuwahlen ansetzen würde, um die Krise zu lösen. Das Außenministerium in Minsk verbat sich einer Mitteilung zufolge solche Ratschläge und empfahl Selenskyj, sich um die Probleme seines Landes zu kümmern.

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