Kommentar: Angela Merkel, die erschöpfte Kanzlerin

25.9.2018, 10:59 Uhr
Mit großen Entwürfen und Visionen hatte es diese Kanzlerin noch nie. Doch sie hat oft genug ihre Fähigkeit bewiesen, schwierige Situationen zu meistern.

© dpa Mit großen Entwürfen und Visionen hatte es diese Kanzlerin noch nie. Doch sie hat oft genug ihre Fähigkeit bewiesen, schwierige Situationen zu meistern.

Ist die Kanzlerin noch auf der Höhe ihrer Schaffenskraft – und ist das genug, um den enormen Anforderungen ihres Amtes gerecht zu werden?

Die Person, die es Ende 1999 schaffte, den CDU-Übervater Helmut Kohl wegen der Spendenaffäre vom Sockel zu stürzen (während sich alle anderen in die Büsche schlugen), diese Person hat nicht mehr viel Ähnlichkeit mit der Kanzlerin von heute. Merkel hatte keine Schwierigkeiten, die überhebliche Männerriege aus dem Andenpakt – Roland Koch, Friedrich Merz, Matthias Wissmann und andere – einen nach dem anderen zur Strecke zu bringen. Heute aber – und seit Jahren – lässt sie sich von CSU-Chef Horst Seehofer, ihrem Innenminister, demütigen und auf der Nase herumtanzen. Merkel ist nicht mehr diejenige, die sie einmal war.

Visionen sind nicht ihre Sache

Mit großen Entwürfen und Visionen hatte es diese Kanzlerin noch nie. Doch sie hat oft genug ihre Fähigkeit bewiesen, schwierige Situationen zu meistern. Gerade auf dem EU-Parkett gelang es ihr immer wieder, aussichtslose Gegensätze wenigstens zu einem Minimalkonsens zusammenzuführen. Davon ist fast nichts mehr zu sehen. Merkel wirkt nur noch erschöpft.

Diese Einschätzung hat überhaupt nichts mit parteipolitischen Präferenzen zu tun. Vielmehr geht es um einen nüchternen Blick darauf, was ein Amt wie das einer Bundeskanzlerin mit einem Menschen über die Zeit macht. Merkel ist seit 22. November 2005 Regierungschefin, seit bald 13 Jahren. Eine sehr lange Zeit, in der sie nicht nur auf der deutschen Bühne, sondern auch in Europa und in der Welt als eine der zentralen Führungsfiguren gefordert war. Und Krisen, die durchzustehen und zu bewältigen waren, gab es überreichlich.

Doch jetzt scheint die Kanzlerin so angezählt, dass sie jegliches Gespür für die Empfindungen ihrer Bürger verlassen zu haben scheint. Ihr Eingeständnis, einer Fehleinschätzung erlegen zu sein, ist ehrenvoll. Doch damit ist es nicht getan.

In vielen demokratischen Staaten gibt es aus guten Gründen eine Begrenzung der Amtszeit auf zwei Legislaturperioden. Auch für den Präsidenten der USA gilt das. Deutschland macht hier unverständlicherweise eine Ausnahme – und es wäre an der Zeit, darüber nachzudenken, ob das so bleiben soll.

Kein Gespür für Soziales

Die Kanzlerin hat überragende Fähigkeiten bewiesen, die sie nicht alle eingebüßt hat. Doch alle politischen Führungsfiguren haben auch blinde Stellen in ihrer Agenda. Wenn diese über so viele Jahre nicht korrigiert werden, entstehen große Schäden. Merkel zum Beispiel hatte nie ein Gespür für soziale Fragen. Dass sie übersehen konnte, wie sehr das reiche Deutschland auseinanderdriftet, spricht Bände.

Merkel hat vor der Wahl mit sich gerungen, ob sie ein viertes Mal antreten soll. Spätestens jetzt weiß man: Sie hat nicht kokettiert.

Und es gibt noch einen wichtigen Grund für eine Begrenzung auf zwei Amtszeiten. Weltweit gibt es Autokraten, die meinen, lebenslang regieren zu müssen – und stets verbrannte Erde zurücklassen. Andernorts gibt es Länder, die nur zwei Amtszeiten zulassen, was deren Machthaber aber gerne mit Referenden aushebeln möchten. Deutschland ist da kein gutes Vorbild, denn diese Despoten können auf unser Land zeigen und sagen: Das gibt es auch hier. Es dient diesen Potentaten als Rechtfertigung dafür, dass sie nicht abtreten müssen.

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