Freude über reuigen Sünder

Kommentar: Der frisch geimpfte Aiwanger wird zum Corona-Helden

11.11.2021, 20:57 Uhr
Bayerns Wirtschaftsminister ist nun auch geimpft und erntet Anerkennung.

© Matthias Balk/dpa, NNZ Bayerns Wirtschaftsminister ist nun auch geimpft und erntet Anerkennung.

Die Welt ist bekanntlich nicht gerecht. So wird der soundsovielte Einser, den ein fleißiges Kind aus der Schule nach Hause bringt, von den Eltern als selbstverständlich hingenommen und nicht mal mehr mit einem Eis gewürdigt. Bringt aber ein Sohn, der stets am Rande der Versetzungsgefährdung operiert, mal einen Dreier zu seinen Eltern, kann er damit rechnen, mit Lob überschüttet zu werden.

Ähnlich ist es mit der Causa Hubert Aiwanger. Der Freie Wähler-Vorsitzende und bayerische Wirtschaftsminister hat ganz lange seine Skepsis gegenüber Corona-Impfungen zur Schau getragen und damit nach Einschätzung vieler Beobachter im zurück liegenden Bundestagswahlkampf bei den Leugnern und Querdenkern gegen oder (wohl eher) mit seinem Willen so manche Stimme gesammelt. Mit seinem Chef Ministerpräsident Markus Söder (CSU) lieferte er sich monatelang mehr oder weniger witzige Scharmützel zur Impf-Frage. Gestern nun hat sich Aiwanger geoutet: Er habe sich impfen lassen.

Nun ist man des Lobes voll über den einsichtigen Vize-Ministerpräsidenten des Freistaats. Das sei ein "gutes Signal", würdigte Söder den Schritt seines Stellvertreters, der zuletzt als einziger in seinem Kabinett regelmäßig PCR-Tests vorlegen musste, um an den Sitzungen teilnehmen zu können. Noch kräftiger wurde Aiwanger von seinen eigenen Leuten gepriesen, die zuletzt einigen Druck auf ihren Vorsitzenden ausgeübt hatten. Aiwanger setze "ein starkes Signal zur richtigen Zeit", würdigte Freie Wähler-Landtagsfraktionschef Florian Streibl die heroische Entscheidung des Parteichefs, seinen Oberarm zu präsentieren: "Einen besseren Weg, inmitten der furchtbaren Pandemie Nächstenliebe zu zeigen, gibt es nicht."

Aiwanger ein Held der Corona-Bekämpfung? So mancher, dem die Einsicht in die Notwendigkeit des Impfens schon viele Monate früher und ohne jedes Incentive zum Impfarzt getrieben hat, reibt sich verwundert die Augen. Anderen dürften die Halsader darüber schwellen, dass jemand für etwas in den Himmel gehoben wird, das eigentlich selbstverständlich sein sollte. Apropos Himmel: Das Lukas-Evangelium hat für diesen Fall einen einschlägigen Kommentar zur Hand: "Ich sage euch, so wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße thut, mehr als als über neunundneunzig Gerechte, die da keine Buße nötig haben" (Lukas 15.7). Mit anderen Worten: Nicht nur die Welt ist ungerecht.

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