Zulauf für Rechtspopulisten

Lampedusa muss ein Weckruf sein: Warum die Migrationsdebatte nicht der AfD überlassen werden darf

Michael Husarek

Chefredakteur Nürnberger Nachrichten

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19.9.2023, 11:00 Uhr
Migranten warten darauf, von der Insel Lampedusa auf ein Schiff zum italienischen Festland gebracht zu werden. Zahlreiche Menschen versuchen jeden Tag, aus Afrika nach Europa zu gelangen.

© Cecilia Fabiano, dpa Migranten warten darauf, von der Insel Lampedusa auf ein Schiff zum italienischen Festland gebracht zu werden. Zahlreiche Menschen versuchen jeden Tag, aus Afrika nach Europa zu gelangen.

Schade, dass Debatten über Zuwanderung offenbar nur möglich sind, wenn die Bilder des Schreckens unerträglich werden. In diesen Tagen ist es (wieder mal) so weit: Die Zustände auf Lampedusa sind für alle dort Lebenden so schlimm geworden, dass die Migration auf der politischen Agenda ganz nach oben rutscht.

Flugs reist EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf die kleine Mittelmeerinsel und der wahlkämpfende Markus Söder packt erneut den Vorschlag aus, Chipkarten statt Bargeld an Asylbewerber auszugeben. Um nicht falsch verstanden zu werden: Weder von der Leyens Besuch ist verwerflich, noch der Vorstoß des CSU-Chefs. Allerdings: Zur Problemlösung trägt derlei Aktionismus nichts bei. Im Gegenteil.

Ein Armeeoffizier schließt das Tor eines Auffanglagers für Migranten auf der Insel Lampedusa. 

Ein Armeeoffizier schließt das Tor eines Auffanglagers für Migranten auf der Insel Lampedusa.  © Cecilia Fabiano, dpa

Solange die Migrationsdebatte unter den demokratischen Kräften nur dann Konjunktur hat, wenn Bilder von ertrinkenden Kindern, brennenden Flüchtlingslagern oder überfüllten Unterkünften die Runde machen, solange gibt es nur eine politische Strömung, die davon profitiert: die Rechtspopulisten.

Kein Wunder, dass führende AfD-Vertreter derzeit am besten beraten sind, gar nichts zu tun. In aller Ruhe können sie auf steigenden Umfragewerte blicken und darauf hoffen, dass Asyldebatten weiterhin so stiefmütterlich geführt werden, wie dies bislang der Fall war.

Wenn nun erneut an Solidarität unter den EU-Mitgliedstaaten appelliert wird, ist dies ebenso zum Scheitern verurteilt wie das Vorgehen der Bundesregierung. Weder werden sich Polen oder Ungarn bereit erklären, Geflüchtete aus Lampedusa aufzunehmen, noch ändern Durchhalteparolen aus Berlin irgendetwas an der verzweifelten Lage der Kommunen.

Kommunalpolitiker sagen: "Meine Stadt ist voll"

Wer in diesen Tagen mit Kommunalpolitikern redet, erhält stets dieselbe Antwort: "Meine Stadt ist voll." Wie und wo weitere Unterkünfte geschaffen werden können, steht ebenso in den Sternen wie die Frage, wo die Grenzen der immer noch vorhandenen Hilfsbereitschaft liegen. Um es auf den Punkt zu bringen: Eine seriöse, dauerhaft geführte Migrationsdebatte ist zwingend, um den gesellschaftlichen Frieden im Land nicht zu gefährden. Das hat im Übrigen nichts mit der Aufgabe humanitärer Standards zu tun. Oder sind die jetzigen Zustände auf Lampedusa in irgendeiner Form menschlich?

Nein, es geht längst nicht mehr um Ideologien. Es geht um Regeln, die ein Miteinander auf Dauer ermöglichen, es geht auch um ein Stück weit Verlässlichkeit für überforderte EU-Bürger. Wenn sich in Deutschland Menschen, die gewiss nicht grundsätzlich radikal oder gar extremistisch denken, scharenweise der AfD zuwenden, hat das mit berechtigten Sorgen zu tun, die bislang weder von der Ampelkoalition noch von den Unionsparteien hinreichend ernst genommen wurden. Migration darf nicht wieder von der Agenda verschwinden!

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