Lockdown-Verlängerung: Schulschließungen als Chance für Lehrer und Schüler

20.1.2021, 18:20 Uhr
Ein Lehrer in Leipzig hält Digitalunterricht in einem leeren Klassenzimmer. 

© Jan Woitas, dpa Ein Lehrer in Leipzig hält Digitalunterricht in einem leeren Klassenzimmer. 

Ziemlich genau zehn Monate ist es jetzt her, dass deutschlandweit zum ersten Mal in der Corona-Krise die Schulen geschlossen wurden. Zehn Monate, in denen sich Lehrkräfte, die Eltern, das Schulpersonal, die Kinder und Jugendlichen fragten, wie es denn nun weitergehen kann mit dem Unterricht in der Pandemie.

Kultusminister reden Lage schön

Allen gemein ist der Wunsch nach einer Perspektive, nach vertrautem Alltag und danach, Schule wieder als berechenbar und verlässlich zu erleben. Ein nachvollziehbarer Wunsch und ein sinnvolles Ziel, keine Frage – leider aber auch eins, von dem wir, zumal nach der jüngsten Verlängerung des Shutdowns, nach wie vor meilenweit entfernt sind.

Das liegt einerseits am Virus mit all seiner Unberechenbarkeit, ja. Es liegt aber zu einem ganz wesentlichen Teil auch an den Kultusministerinnen und -ministern, die diese zehn Monate vor allem damit verbracht haben, sich die Lage schönzureden, von der Rückkehr zur Schulnormalität zu träumen und sich mit aller Macht an die Schimäre Präsenzunterricht zu klammern.



Dabei ist längst klar: Von der Idee, dass Unterricht jemals wieder genau so sein wird wie vor der Pandemie, sollte man sich besser verabschieden. Dafür gibt es Gründe:

Medizinische Gründe: Die Forschung hat bisher keine endgültigen Erkenntnisse darüber, welche Rolle Kinder und Jugendliche in der Infektionskette spielen. Dass sie seltener Covid-19-Symptome entwickeln, scheint gesichert – aber wie stark übertragen sie das Virus? Das Dogma der Kultusministerkonferenz (KMK), Schulen seien „keine Hotspots und keine Treiber der Infektion“, lässt sich jedenfalls nicht mehr halten.

Organisatorische Gründe: Wollen Schulen verschärfte Hygienebedingungen einhalten, brauchen sie – je nach Vorgaben – mehr Räume, mehr Personal und andere bauliche Gegebenheiten. Vier Waschbecken für 200 Kinder reichen eben für regelmäßige und ausführliche Handhygiene nicht aus. Und der ohnehin schon bestehende Lehrermangel wird noch einmal verschärft, wenn Lehrkräfte, die Risikogruppen angehören, in der Notbetreuung von Schülern nicht mehr eingesetzt werden können.

Pädagogische Gründe: Bildungsforscherinnen und -forscher gehen davon aus, dass Schulschließungen die Unterschiede beim Leistungs- und Wissensstand innerhalb der einzelnen Klassen und Lerngruppen vergrößern. Diese Leistungsspreizung zu verhindern, gehört zu den wichtigsten aktuellen pädagogisch-didaktischen Herausforderungen.
Doch wenn man diese Aufgabe einer stärkeren Differenzierung ernst nimmt, dann werden Abstriche bei den fachlichen Anforderungen gemacht werden müssen – ein Effekt, der noch durch kurzfristige Schulschließungen verstärkt wird. Und ein Effekt mit Folgen: Die Debatte darüber, inwiefern etwa die Abschlussprüfungen für den Mittleren oder den Hauptschulabschluss, für das Abitur oder Abschlüsse am Berufskolleg nachjustiert werden müssen und wie sie trotzdem bundesweit vergleichbar bleiben können, hat gerade erst begonnen.

Psychologische Gründe: Durch den Unterricht zu Hause, stärker aber noch durch die generelle Corona-Ausnahmesituation haben Kinder und Jugendliche jede Menge Erfahrungen gemacht, die verarbeitet werden müssen – und Schule ist auch immer der Raum für den Austausch solcher sozialen Erlebnisse. So zu tun, als könne man nach der Rückkehr in den Präsenzunterricht einfach zur schulischen Tagesordnung übergehen – im schlimmsten Fall mit einem unangekündigten Leistungstest am ersten Schultag – würde diese breiten psychologischen und gesellschaftlichen Erfahrungen schlicht negieren.

Homeschooling: Vor allem Mütter sind derzeit besonders gefordert.

Homeschooling: Vor allem Mütter sind derzeit besonders gefordert. © Rolf Vennenbernd, NN

Kultusminister haben versagt

Wenn man sich anschaut, wie die KMK auf diese Herausforderungen reagiert hat, kann man nur in Sarkasmus verfallen. Zehn Monate lang war Zeit, zu planen. Und was kam dabei heraus? Eine Handreichung für Lehrkräfte zum richtigen Lüften ist entstanden – sogar als gedruckte Broschüre! Applaus! Es gibt ein paar Fördergelder für Luftreiniger – phantastisch! Und es gibt – bisher uneingelöste – Versprechen für Lehrkräfte-Laptops und eine Bildungs-Flatrate für ärmere Familien – umwerfend! Was es leider nicht gibt: ein Konzept dafür, wie der neue Unterricht unter dauerhaft geänderten Vorzeichen aussehen kann und wie er von der Schuladministration organisiert wird.

Gut, dass zumindest einige Lehrkräfte dieses Ideen-Vakuum als Freiraum begreifen. Und längst losgelegt haben mit neuen Lern- und Unterrichtsformaten, mit Projektarbeit im digitalen Raum, mit neuen Formen des gemeinsamen und des individuellen Lernens unabhängig von der Frage, ob die Schüler nun gemeinsam in einem Raum sitzen oder an ganz verschiedenen Orten – und trotzdem verbunden sind.

Corona-Krise als Chance

Um es ganz deutlich zu sagen: Wenn Kinder und Jugendliche im ganzen Hin und Her der vergangenen Monate etwas gelernt, wenn sie persönliche und fachliche Fortschritte gemacht haben, dann war das nicht wegen, sondern trotz der Politik in den Kultusministerien. So gesehen ist die Corona-Krise eine echte Chance zum Umbau bisher verkrusteter Strukturen, eine Möglichkeit zum Ausprobieren neuer Lernwege, ein Anstoß zum Denken bisher ungedachter Möglichkeiten. Und ein Impuls, endlich die jahrelang verschlafene Digitalisierung der Schulen anzugehen. Machen wir das Beste draus –auf die Kultusministerien sollten wir dabei nicht unbedingt warten.

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