Lukrative Netzwerke: Immer mehr Zweifel an Kulturhauptstadt-Verfahren

6.12.2020, 05:53 Uhr
Chemnitz ist Kulturhauptstadt 2025 und feiert. Doch das Verfahren dahinter wirft Fragezeichen auf. 

© Jan Woitas, dpa Chemnitz ist Kulturhauptstadt 2025 und feiert. Doch das Verfahren dahinter wirft Fragezeichen auf. 

Immer mehr Details über das fragwürdige Verfahren der Vergabe des Kulturhauptstadt-Titels der Europäischen Union kommen nun ans Licht. Details, die belegen, dass auffallend oft dieselben einflussreichen Kulturmanager im Hintergrund des lukrativen Geschäftes aktiv sind. Details, die zeigen, dass ebenso undurchsichtige wie langjährige Verbindungen zwischen Jury-Mitgliedern und Beratern bestehen. "Das Verfahren gehört auf den Prüfstand. Es muss dringend von der EU reformiert werden. Es fehlt an Transparenz und Qualitätskontrolle" hatte das ehemalige Jury-Mitglied Gottfried Wagner bereits zuvor im Gespräch mit den Nürnberger Nachrichten gefordert.

Jetzt legen weiterführende Recherchen der Süddeutschen Zeitung (SZ) weitere pikante Einzelheiten offen über dieses "internationale Friends-and-Family-Netzwerk, dessen Machenschaften an Organisationen wie IOC oder Fifa erinnern".


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Für viele Bewerber im Einsatz

Da ist zum Beispiel Ulrich Fuchs. Der gebürtige Oberpfälzer, der heute in Marseille lebt, ist so etwas wie der "Mister Kulturhauptstadt Europas". Bis 2018 war er Mitglied der Jury, zeitweise auch deren Vorsitzender. Jetzt ist er Berater, bestens vernetzt und gut im Geschäft.

Die Kulturstiftung der Länder, die den Auswahlprozess der deutschen Kulturhauptstadt 2025 im Auftrag der Kultusministerkonferenz organisierte, heuerte ihn als so etwas wie einen neutralen Coach an. Er sollte alle acht deutschen Bewerberstädte in Workshops fit machen für den Prozess. Gleichzeitig brachte sich Fuchs aber in Chemnitz intensiv ein. So intensiv, dass er im ersten Bewerbungsbuch, das die Stadt abgegeben hatte, sogar im Impressum steht. Unter dem Punkt "Europäische Vernetzung und Bewerbungsimpulse" ist er dort genannt.

In Nürnberg kassierte er 120.000 Euro

Seine Frau Pia Leydolt-Fuchs ist dort sogar als Mitglied des neunköpfigen Kuratoriums aufgeführt. Sie führt die Firma Capcult in Marseilles, die Kulturhauptstädte und solche, die es werden wollen mit Rat und Tat unterstützt. "Im Zuge der Hauptstadt-Kür 2025", so berichtet die SZ, " war sie außer für Chemnitz auch noch für Kassel und Hannover tätig."

Ihr Mann arbeitete laut SZ derweil in mehreren um den Titel konkurrierenden Städten an deren Kulturentwicklungsplänen mit. Die Erarbeitung eines solchen Langfristplanes ist zwingender Teil der Bewerbung und damit von allen Kandidatenstädten gefordert. Fuchs brachte sich dabei laut Süddeutscher in Nürnberg, Kassel und Gera ein – und zwar jeweils im Team des Berliner Kulturberaters Patrick Föhl. Allein für seine Dienste in Nürnberg kassierte Föhl 120.000 Euro.

Lukrative Netzwerke: Immer mehr Zweifel an Kulturhauptstadt-Verfahren

© Foto: NN-Archiv

Dass Städte viel Geld in ihre Bewerbung stecken, ist üblich. Wenn der Titel errungen wird, zahlt sich das mehrfach aus. Schließlich fließen dann nicht nur Einnahmen aus dem Tourismus im Kulturhauptstadtjahr, sondern schon vorher Millionen aus öffentlichen Kassen – nationalen, regionalen, lokalen und von der EU. Ein Millionenspiel, für das sich hoher Einsatz lohnen kann.

Im EU-Beschluss vom 16. April 2014 ist auf elf Seiten das Auswahlverfahren von Europas Kulturhauptstädten festgelegt – inklusive der Regularien zur Auswahl der insgesamt zwölköpfigenJury. Aus einem Pool von 150 Kulturmanagern wählen EU-Parlament, EU-Rat und EU-Kommission jeweils drei Mitglieder. Der europäische Ausschuss bestimmt aus dem Pool einen weiteren Vertreter. Zwei dürfen jeweils die Länder entsenden, die mit dem Titel – der von Jahr zu Jahr in zwei andere Staaten wandert – dran sind.

In Chemnitz beteiligt

Für alle Mitglieder gilt: Sie müssen unabhängig sein und frei von Interessenskonflikten. "Alle Experten müssen auf jeden tatsächlichen oder potenziellen Interessenkonflikt in Bezug auf eine bestimmte Bewerberstadt hinweisen", heißt es in dem EU-Beschluss.

An der Neutralität von Jiri Suchanek, seit 2017 Jury-Mitglied, kann man Zweifel hegen. Er war Chefmanager der Kulturhauptstadt Pilsen (2015). Dort leitet der nun das Kulturzentrum Depo2015. Das wiederum ist mit dem "European Peace Ride", einer internationalen Fahrradtour für den Frieden", Teil des Chemnitzer Kulturhauptstadtprogramms für 2025. Das heißt: Ein Jurymitglied ist mit einem Projekt unmittelbar beteiligt an der Chemnitzer Bewerbung.

Für die Vorbereitungen des Pilsener Kulturhauptstadtjahr arbeitete Suchanek, wie die SZ schreibt, eng mit dem Berater Mattijs Maussen zusammen. Der Niederländer ist eine feste Größe im "Wanderzirkus Kulturhauptstadt" und wirbt damit, dass elf von 15 Städten, die er als Kunden hatte, den Titel holten. Zuletzt hat er Chemnitz beraten. Wieder erfolgreich. Maussen wurde bereits 2016 auch in Nürnberg vorstellig, um seine Dienste anzubieten. Es war damals Jiri Suchanek, der Maussen bei einem gemeinsamen Besuch im Nürnberger Rathaus als Berater empfahl - vergeblich.

Ex-Jury-Mitglied Gottfried Wagner sagte im Gespräch mit den Nürnberger Nachrichten: "Ich glaube, dass es schon vor der Entscheidung in der Jury eine Sympathie für den Underdog aus Ostdeutschland gab." Am 28. Oktober fiel die Wahl der Jury dann tatsächlich auf Chemnitz als designierte Kulturhauptstadt 2025. Hannover, Hildesheim, Magdeburg und Nürnberg waren raus. Offiziell ernannt ist Chemnitz noch nicht. Das obliegt der Kultusministerkonferenz, auf deren Tagesordnung das wohl in der kommenden Woche steht. Sie vergibt auf Grundlage des Jury-Berichts im Benehmen mit der Kulturstaatsministerin offiziell den Titel "Kulturhauptstadt Europas 2025" und meldet diesen dann an das Europäische Parlament, den Rat, die Kommission und den Ausschuss der Regionen.

Vorsitzender der Kulturministerkonferenz ist derzeit Bernd Sibler, Bayerns Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Er sagt zu der Kritik: "Die Auswahl der Jurymitglieder für die Auswahl der Kulturhauptstadt liegt im Verantwortungsbereich der Europäischen Kommission. Ich habe hier keinen Einblick, daher kann ich das Verfahren nicht bewerten. Ich muss also darauf vertrauen, dass die Auswahl fair und gerecht getroffen wurde."

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