"Mit Nazis regiert man nicht": Kritik an Gauck ist bösartig

16.6.2019, 14:36 Uhr
Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck hat "eine erweiterte Toleranz in Richtung rechts" gefordert - und erntete damit viel Kritik.

© Maurizio Gambarini, NN Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck hat "eine erweiterte Toleranz in Richtung rechts" gefordert - und erntete damit viel Kritik.

Es gibt ein neues, ausführliches Interview des Altbundespräsidenten Joachim Gauck, das er dem Nachrichtenmagazin Spiegel gegeben hat. Darin sagt er unter anderem, dass er die AfD als Partei für "verzichtbar" hält und kein Interesse daran hat, sich mit deren Vorsitzendem Alexander Gauland an einem Tisch zu setzen, denn er habe "nicht genug Achtung" diesem Mann gegenüber, der "sich von extrem Rechten unterstützen lässt".

Und was wird daraus in den Sozialen Netzwerken? Zum Beispiel ein Tweet des sozialdemokratischen Europaabgeordneten Tiemo Wölken mit dem Inhalt "Ey Gauck, mit Nazis regiert man nicht". Dass er irgendwelche Regierungen "mit Nazis" für gut halte, ist eine bösartige Unterstellung gegenüber Gauck - und steht mit keinem Wort in dem Interview. Aber Lesebereitschaft und -fähigkeit scheinen heute nicht mehr sehr ausgeprägt. Man hat irgendein Zitat aufgeschnappt, hält das für empörend und schreit es gleich in die Welt hinaus.

Die Kritik an Gauck bezieht sich in erster Linie darauf, dass sich das frühere Staatsoberhaupt wieder eine "alte" CDU bzw. CSU (mit Leuten wie Franz Josef Strauß) wünscht, die den rechten Rand des politischen Spektrums bildet und eben gerade nicht die AfD.

Des weiteren fordert er "eine erweiterte Toleranz in Richtung rechts", unterscheidet dabei aber stark zwischen "konservativ" und "rechtsextremistisch oder rechtsradikal". Auch da muss man schon sehr voreingenommen sein, um dem Altpräsidenten Böses zu unterstellen. Aber so laufen inzwischen leider Diskussionen ab. Joachim Gauck hat es sich mit vielen verdorben, seit er mit Bezug auf die Flüchtlingspolitik im Oktober 2015 den Satz "Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind endlich" prägte. Seitdem wird nach Kräften alles, was er sagt, negativ gegen ihn ausgelegt.

Dass er gleichzeitig größten Respekt genau gegenüber der "Wir-schaffen-das"-Bundeskanzlerin und ihrer politischen Leistung ausspricht, wird ausgeblendet, weil es ja nicht ins Bild des nach Rechts abdriftenden alten Mannes passt. Dabei ist Gaucks Argumentation absolut folgerichtig: Wir sind über viele Jahrzehnte in Deutschland sehr gut damit gefahren, dass es rechts neben der Union nur noch Radikale und Extremisten wie die NPD und die DVU gab. Und auch die nur als Splittergruppen.

Der Konsens in Politik und Bevölkerung war groß und reichte (mit gewissen Abstrichen) vom marktliberalen FDP´ler bis zum linken Sozialdemokraten und zum erzkatholischen Christdemokraten. Heute droht diese grundlegende Übereinstimmung verloren zu gehen. In manchen Bundesländern können in Zukunft vielleicht kaum noch Regierungen gebildet werden, weil die besonnenen Kräfte ihre Mehrheit verloren haben. Nichts anderes wollte der Altpräsident in dem Interview sagen.

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