Nach Mercedes-Aus: Zukunft des Norisring bedroht

23.6.2018, 05:57 Uhr
"Ich kann mir eine DTM ohne Mercedes überhaupt nicht vorstellen", sagt DTM-Legende Bernd Schneider, hier im Jahr 2007.

© Karlheinz Daut "Ich kann mir eine DTM ohne Mercedes überhaupt nicht vorstellen", sagt DTM-Legende Bernd Schneider, hier im Jahr 2007.

Angst. Eigentlich hat Wolfgang Schlosser in diesen Tagen kaum Zeit dafür, so ein Gefühl aufkommen lassen. Schlosser muss im Moment vor allem einfach funktionieren, aber zwischendurch ziehen ihm dann doch einmal ein paar trübe Gedanken durch den Kopf. "Wir haben schon Angst", sagt Schlosser, der Vorstand des Motorsport-Clubs Nürnberg, am Donnerstag, während er den Aufbau der Rennstrecke rund um die Steintribüne koordiniert. 200 sogenannte "Reifensixpacks" haben sie angefordert, um aus den Straßen rund um den Dutzendteich einen sicheren Stadtkurs zu machen, um eine Motorsportveranstaltung aufzubauen, die in Deutschland einmalig ist.

Und deren Zukunft unsicher ist, seitdem die Staatsanwaltschaft Stuttgart im Mai 2017 im Zuge des Dieselskandals Gebäude des Autobauers Daimler hat durchsuchen lassen.

Risse in der Parallelwelt

Die Welt des Motorsports kann einem zuweilen wie eine Parallelwelt vorkommen. Abgesehen vom Reifenabrieb auf der Strecke und den ölverschmierten Händen der Mechaniker wird hier alles in Hochglanz gedacht und jenseits der Boxengasse nichts dem Zufall überlassen; nicht das Make-up der Grid Girls, nicht beim Sterne-Menü für die besonders wichtigen Gäste, nicht in den Interviews der Rennfahrer und natürlich nicht bei der Präsentation der Fahrzeuge. Denn am Ende soll der Sport ja vor allem die Massen von den eigenen Produkten überzeugen, mit denen man auch dann noch die Zeppelinstraße entlangfahren kann, wenn die Rennstrecke wieder abgebaut ist.

Dass diese Parallelwelt aber nicht unabhängig ist von der echten Welt, hat man in der Szene spätestens im Juli des vergangenen Jahres feststellen müssen. Wenige Wochen nachdem auch Daimler in den Verdacht geraten war, mit falschen Abgaswerten betrogen zu haben, kündigte Mercedes an, sich aus der DTM, der beliebtesten Tourenwagenserie, zurückzuziehen und fortan in der Formel E an den Start zu gehen.

Im Gegensatz zur DTM, die ganz klassisch auf Verbrennungsmotoren zurückgreift, kommt die Formel E in etwa so daher: neu, jung, hip – vor allem aber sauber, weil die Macher auf Elektromotoren setzen. Auch wenn die Verantwortlichen einen direkten Bezug vermieden, schien es ein wenig so, als wolle da jemand in der Führungsetage das schlechte Gewissen kaschieren und das ramponierte Image mit Hilfe des "grünen Motorsports" aufpolieren.

Der Schock nach der Razzia

Für die Organisatoren der DTM war die Ankündigung ein Schock. Und für Wolfgang Schlosser und seine zahlreichen Mitstreiter beim MCN, die Jahr für Jahr ehrenamtlich das Norisringrennen organisieren, natürlich auch.


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Neben Mercedes sind mit Audi und BMW in der Serie aktuell drei Hersteller mit je sechs Fahrzeugen vertreten, und dass so ein Wettbewerb mit nur noch zwölf Autos bei zwei konkurrierenden Marken nicht mehr viel mit echtem Motorsport zu tun hat, dafür braucht es keine höhere Mathematik. Ersatz hat Gerhard Berger bislang nicht auftreiben können (siehe Interview unten). Der ehemalige Formel-1-Pilot ist weltweit zwar bestens vernetzt, aber auch ihm fällt es offensichtlich schwer, in einer Branche in der (Vertrauens-)Krise Menschen zu überzeugen, in den "alten" Motorsport zu investieren. "Da würde man sich natürlich wünschen", sagt der Österreicher, "dass die deutsche Automobilindustrie, die so stark ist, mehr zusammenstehen würde."

Millionensummen für den DTM-Betrieb

Wie viel Geld nötig ist, um in der DTM starten zu können, darüber schweigen sich die Hersteller aus. Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung investieren die Konzerne bis zu 50 Millionen im Jahr. Für Privatteams – wie es sie damals noch bei der Gründung 1984 gab – ist das unbezahlbar, gelingt es den Verantwortlichen aber, die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass die Kosten deutlich sinken, könnte die klaffende Lücke im Klassement vielleicht doch gefüllt werden.

So oder so endet an diesem Wochenende eine Ära, wenn die Marke mit dem Stern zum letzten Mal am Norisring antritt. "Ich kann mir eine DTM ohne Mercedes überhaupt nicht vorstellen", sagt Bernd Schneider, eine Legende der Serie. Fünf Meisterschaften holte er zwischen 1986 und 2008, auch am Wochenende wird er wieder nach Nürnberg kommen.

"Wir bleiben optimistisch"

"Überrascht und enttäuscht" war der Mercedes-Markenbotschafter von der Entscheidung seines Arbeitgebers und natürlich hofft auch er darauf, dass die nächste Generation sein Erbe weiter fortführen kann; dass immer wieder neue Gesichter auf dem Podium vor dem Zeppelinfeld Champagner verspritzen dürfen. "Ich drücke Gerhard Berger die Daumen", sagt Schneider und denkt an seine jungen Nachfolger: "Da stehen einige Existenzen auf dem Spiel."

Ganz so schlimm ist es beim Motorsport-Club Nürnberg nicht, dort ist die Organisation des Rennwochenendes ja vor allem ein sehr zeitintensives Hobby. Aber natürlich stellen sie sich dort auch die Frage, wie sie die Zuschauer an die Strecke locken sollen, falls ihr großes Aushängeschild, die DTM, wegbricht. Zwischen 1995 und 2000 ist ihnen das schon einmal passiert, trotzdem sind die Motorsportfans aus ganz Deutschland weiter an den Norisring gepilgert. "Es gibt auch gute Alternativen, aber keine Serie ist so beliebt wie die DTM", hat Wolfgang Schlosser schon zu Saisonbeginn gegenüber dieser Zeitung gesagt.

Angst? "Stirbt die DTM, stirbt ein Stück Sportgeschichte", sagt Schlosser. Was er aber auch noch sagt: "Wir bleiben optimistisch."

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