Nächtliche Ausschreitungen: Jugendkrawalle gab es schon früher

22.7.2020, 10:37 Uhr
Nächtliche Ausschreitungen: Jugendkrawalle gab es schon früher

© Foto: Gerhard Rauchwetter dpa/lby

Der Begriff ist im Laufe der Zeit etwas aus der Mode gekommen: Halbstarke. Mitte des vergangenen Jahrhunderts beschrieb man mit diesem soziologisch eher unscharfen Terminus junge, vorwiegend männliche Leute, die sich in ihrer Freizeit mit großem Vergnügen mit der Staatsmacht anlegten und dabei für Szenen sorgten, die in sehr ähnlicher Form in diesem Sommer zuerst die Stuttgarter und dann die Frankfurter Stadtbevölkerung irritierten.

Rund 350 polizeilich registrierte "Halbstarken-Krawalle" in verschiedensten bundesdeutschen Städten zählte zwischen 1956 und 1958 der 2007 verstorbene Freiburger Kriminologe Günther Kaiser einst in einem Beitrag über Jugendgewalt. Und die Schilderungen der Vorfälle in den Medien lasen sich damals erstaunlich ähnlich wie die Berichte über die aktuellen Ausschreitungen.

So wurde etwa im August 1956 eine Straßenschlacht in München beschrieben, die sich aus dem Unmut junger Leute über das nächtliche Betriebsende des Vorstadtjahrmarkts "Auer Dult" ergab. Als Polizeibeamte versuchten, das Gelände zu räumen, gingen – bestaunt von 300 Schaulustigen – die Jugendlichen, wie unsere Zeitung damals berichtete, "zum Gegenangriff" über. "Sie bewarfen die Polizisten mit Pflastersteinen. Die Windschutzscheibe des Streifenwagens zersplitterte und ein Beamter wurde verletzt". Erst als weitere Einsatzkräfte und ein Wasserwerfer eintrafen, konnten die Angreifer in die Flucht geschlagen werden.


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Braunschweig, Hamburg, Bremen, West-Berlin, Köln, Dortmund, Gelsenkirchen – "Halbstarken-Krawalle" wurden für einige Zeit zum festen Begriff in der öffentlichen Debatte der Bundesrepublik. Und wenn die Medien der Frage nachgingen, wer diese Halbstarken denn eigentlich waren, ähnelten sich die gefundenen Antworten meist: In den einschlägigen Gruppen fand man junge Arbeiter, Handwerker, Jugendliche aus prekärem Umfeld, denen man damals gern das Etikett "arbeitsscheu" verpasste. Überwiegend waren es Menschen aus unteren sozialen Schichten. Deutsche. Migrationsbevölkerung gab es damals nicht.

Scharf auf Medienpräsenz

"Die Halbstarken sind gewalttätig und renommiersüchtig", schrieb damals die Illustrierte Quick über die randalierenden Jugendlichen. Irgendwann wurde in manchen Städten die Konfrontation mit der Polizei der eigentliche Zweck von jugendlichen Zusammenkünften am Wochenende. Der Duisburger Generalanzeiger berichtete am 26. September 1956 über einen Fall, im dem sich die alarmierte Staatsgewalt nicht blicken ließ und daraufhin "die Menge nach dreistündigem Warten" auseinanderging. Noch enttäuschender war es, wenn die Presse die Halbstarken-Aufzüge ignorierte. Für Fotografen posierte man gern. Heute filmt man die Krawalle selbst mit dem eigenen Smartphone und gibt damit in den sozialen Netzwerken an.

So etwas wie eine politische Note bekamen die Jugendunruhen erst Anfang der 60er Jahre. Im Juni 1962 lieferten nach der Festnahme von fünf jugendlichen Straßenmusikanten wegen nächtlicher Ruhestörung an vier aufeinanderfolgenden Tagen in München tausende junge Leute der erbittert zurückschlagenden Polizei blutige Schlachten. Die "Schwabinger Krawalle", an denen neben jungen Arbeitern auch Studenten beteiligt waren, gelten heute zumindest als Vorbote der späteren Studentenunruhen. Es war das Aufbegehren einer sich nach kultureller Selbstbestimmung sehnenden Jugend gegen den illiberalen Obrigkeitsstaat.

Die Polizei zog aus den Unruhen damals wichtige Lehren. Unter dem ab 1963 amtierenden Münchner Polizeipräsidenten Manfred Schreiber wurden Einsatzkonzepte erarbeitet, in denen Deeskalation eine wichtige Rolle spielte. Die "Münchner Linie" sah den Einsatz von Polizeipsychologen vor, setzte auf Prävention und selektiven Zugriff. Eine weiche Linie war es nur auf den ersten Blick. Festgenommene Straftäter mussten seither mit einer harten Bestrafung durch die Justiz rechnen.

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