Novemberpogrome in Nürnberg: "Nacht der Schande"

9.11.2013, 06:54 Uhr
Die ausgebrannte Synagoge der orthodoxen Juden in der Essenweinstraße.

© Stadtarchiv Nürnberg Die ausgebrannte Synagoge der orthodoxen Juden in der Essenweinstraße.

Bis zum Beginn des Parteitages am 5. September sollte, so die Vorgabe des Judenhassers und NSDAP-Gauleiters Julius Streicher, kein Stein des Gotteshauses mehr zu sehen sein. Den Auftakt der Abbrucharbeiten verfolgten mehrere Tausend Nazi-Anhänger. Menschen kamen bei dem Abbruch zumindest nicht zu Schaden.

Das sollte sich bei dem von den Nazis im Nachhinein verharmlosend als „Reichskristallnacht“ bezeichneten Pogrom ändern: Allein in Nürnberg fielen über 20 Juden dem blutigen Terror der SA-Horden zum Opfer, mindestens zehn davon nahmen sich aus Verzweiflung selbst das Leben.

Es war bereits kurz vor Mitternacht am 9. November, als sich auf dem in Adolf-Hitler-Platz umbenannten Hauptmarkt SA-Leute zum Appell einfanden. Der braune Mob zog anschließend zur Synagoge in der Essenweinstraße — seit 1902 die Versammlungsstätte der orthodoxen Minderheit „Adas Israel“. Entgegen der NS-Propaganda handelte es sich dabei um keine „spontane judenfeindliche Aktion“, schließlich war die Feuerwehr von Anfang an präsent — sie unternahm allerdings nichts, um den Brand zu löschen, lediglich ein Übergreifen der Flammen auf benachbarte Häuser sollten die Einsatzkräfte verhindern.

Zu Tode gequält

Auch das anschließende Herumziehen der SA-Horden war akribisch vorbereitet: Wochen vor dem 9. November hatten die Nazis Stäbe und Brechstangen geordert, die sie am Abend auf dem Hauptmarkt verteilen ließen. Kein jüdisches Geschäft blieb beim anschließenden Zug durch die Straßen verschont. Ein Augenzeuge erinnert sich daran, wie in der benachbarten Sandstraße die SA-Meute in ein vierstöckiges Wohnhaus eindrang — Erwachsene und Kinder, allesamt jüdische Bewohner, wurden aus dem Anwesen geprügelt — und mussten sich den Synagogenbrand ansehen.

Von einer „Nacht der Schande“ sprechen die Juden rückblickend auf die damaligen Geschehnisse. Der Raserei der wild gewordenen Menge fielen in Nürnberg reihenweise Juden zum Opfer — zu Tode gequält oder totgetrampelt lagen sie auf den Straßen. Zudem wurden die Geschäfte jüdischer Besitzer zerstört.

SA-Trupps trieben zum Abschluss des gespenstischen Treibens 160 Juden, darunter auch Jugendliche, ins Polizeigefängnis. Nach einer Nacht in qualvoller Enge wurden alle Männer unter 60 Jahren in den frühen Morgenstunden des 11. November ins Konzentrationslager nach Dachau transportiert. Erst im Dezember durften sie wieder nach Nürnberg zurückkehren. „Von diesem Tag an konnte niemand mehr behaupten, er habe nicht gewusst, was den Juden widerfährt“, blickte der kürzlich verstorbene langjährige Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, Arno Hamburger, auf die grausamen Ereignisse in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zurück.

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