"Umsturz" und "Bürgerkrieg"

Ominöse Chatgruppe: AfD-Ausschussvorsitzender Bayerbach soll abberufen werden

2.12.2021, 16:28 Uhr
Weil er während der Aufklärungen zur AfD-Chatgruppe gelogen haben soll, droht dem Vorsitzenden des Bildungsausschusses, Markus Bayerbach (AfD), nun die Absetzung.

© Matthias Balk/dpa Weil er während der Aufklärungen zur AfD-Chatgruppe gelogen haben soll, droht dem Vorsitzenden des Bildungsausschusses, Markus Bayerbach (AfD), nun die Absetzung.

Die kürzlich bekannt gewordene Konversation in einer abgeschotteten Internet-Gruppe der AfD Bayern zieht immer größere Kreise. Am Donnerstag forderten die Mitglieder des Bildungsausschusses im bayerischen Landtag die Abberufung des Ausschussvorsitzenden Markus Bayerbach (AfD). Für das vom FDP-Abgeordneten Matthias Fischbach auf den Weg gebrachte Abberufungsverfahren stimmten sämtliche Fraktionen. Nur Bayerbach selbst und der Freie Wähler-Abgeordnete Leopold Herz enthielten sich der Stimme.

Zu Sitzungsbeginn stand eigentlich die nicht körperlich anwesende oberbayerische AfD-Landtagsabgeordnete im Kreuzfeuer. Cyron soll sich in einem Internet-Chat der "Alternativen Nachrichtengruppe Bayern" für einen gewaltsamen Umsturz ausgesprochen haben. Zitiert wird sie in Medienberichten mit den Worten: "Denke, dass wir ohne Bürgerkrieg aus dieser Nummer nicht mehr rauskommen." Ein oberbayerischer AfD-Kreisvorsitzender hatte die Äußerung offensichtlich durch seine Bemerkung "Ohne Umsturz und Revolution kriegen wir keinen Kurswechsel mehr" vorbereitet. Der komplette Wortlaut des internen Chats war Medien zugespielt worden.

Auf Vorhaltungen der Abgeordneten Fischbach, Gerhard Waschler (CSU), des stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Tobias Gotthardt, Margot Wild (SPD) und Gabriele Triebel (Grüne), sich nicht hinreichend von seiner Parteikollegin zu distanzieren, erklärte Ausschusschef Bayerbach, er sei nicht Mitglied dieser Chatgruppe und wisse darüber nur, "was ich aus der Presse weiß." Über die von den anderen Parteien geforderten Abzug der AfD-Parlamentarierin Cyron aus dem Ausschuss könne nur die AfD-Fraktion entscheiden: "Dem kann und will ich nicht vorgreifen." Es sei "kein Thema, dass die AfD Umsturz, Revolution und Gewalt ablehnt", fügte der AfD-Politiker hinzu.

458 Äußerungen vergessen?

Die Bombe ließ der FDP-Politiker Fischbach etwas später platzen. In dem Chat der AfD-"Nachrichtengruppe" finden sich nach seinen Informationen nicht weniger als 458 Äußerungen Bayerbachs. Offenbar habe der Ausschussvorsitzende die Mitglieder "angelogen". Das Vertrauen in seine Person sei "massiv geschädigt", begründete Fischbach seinen Abberufungsantrag.

Nach der Geschäftsordnung des bayerischen Landtags sind damit die Weichen für die Abberufung Bayerbachs gestellt. Diese kann demnach frühestens in zwei Wochen, also nicht vor dem 16. Dezember, nach Eingang des Antrags in nicht öffentlicher Sitzung und geheimer Abstimmung beschlossen werden. Erforderlich ist dazu eine Zweidrittelmehrheit. Die AfD-Fraktion, die nach der Geschäftsverteilung den Vorsitz des Bildungsausschusses beanspruchen kann, muss dann "unverzüglich" einen anderen Abgeordneten für diese Funktion vorschlagen. Durch die Weihnachtspause wollen sich die AfD-Gegner nicht beirren lassen. Notfalls müsse eine Sondersitzung anberaumt werden, es eine Sondersitzung des Ausschusses, hieß es aus Oppositionskreisen.

Bayerbach ist von Beruf Förderlehrer und Mitglied des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinneverbands (BLLV). Deren Präsidentin Simone Fleischmann kündigte am Donnerstag an, "schnellstmöglich" den Ausschluss Bayerbachs herbeizuführen. Wenn es stimme, dass auch Bayernbach Teil dieser Chatgruppe ist oder war, obwohl er dies im Ausschuss bestritten habe, so sei dies mit den demokratischen Prinzipien des BLLV "keinesfalls in Einklang zu bringen", so Fleischmann: "Herr Bayerbach sollte sich daher selbst die Frage stellen, ob er nicht selbst die Initiative ergreift und aus dem BLLV austritt."

"Rote Linie überschritten"

Ursprünglich hatten die Freien Wähler (FW) in Abstimmung mit dem Koalitionspartner CSU vor allem die Absicht verfolgt, die AfD-Parlamentarierin Cyron aus dem Bildungsausschuss zu entfernen. Deren Aussagen stünden "in krassem Gegensatz zu den Aufgaben und der moralischen Verpflichtung dieses Ausschusses", erklärte Vize-Ausschussvorsitzender Gotthardt.

Nach der turbulenten Ausschusssitzung legten die Landtagsfraktionen nach. Die AfD habe in diesen Chats ihr wahres Gesicht gezeigt, sagte CSU-Fraktionsvorsitzender Thomas Kreuzer. Die demokratische Grundordnung solle auch mit Gewalt bekämpft werden. Ein Politiker, der dagegen nicht mit aller Kraft ankämpfe, sondern diese Auswüchse auch noch befeuere, sei als Ausschussvorsitzender im Bayerischen Landtag auf keinen Fall mehr tragbar." Zudem sei Bayerbach "nicht ehrlich über diesen wichtigen Sachverhalt" gewesen, erklärte der CSU-Bildungspolitiker Waschler: "Das Vertrauensverhältnis ist zerstört."

Ausschussvorsitzender Bayerbach habe dem Gremium trotz Nachfrage verschwiegen, dass er selbst wohl aktives Mitglied des "Skandal-Chats" der AfD bei Telegram gewesen sei, erklärte Vizeausschussvorsitzender Gotthardt von den Freien Wählern. Damit sei "die rote Linie überschritten." Wer sich als aktives Mitglied in "kruden Chats mit rechtsextremen Inhalten" tummele, könne keinem für Extremismusprävention mitverantwortlichen Spitzengremium der bayerischen Demokratie vorstehen, betonte FW-Parlamentsgeschäftsführer Fabian Mehring.

Es sei erschreckend, dass Menschen, die zum Bürgerkrieg und zur Etablierung eines autoritären Systems aufriefen, in der "Herzkammer der Demokratie" säßen, erklärte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze. Bayerbach könne "auf gar keinen Fall" Vorsitzender des Bildungsausschusses bleiben. Schulze forderte die bayerische Staatsregierung auf, die AfD als Partei vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Andere Bundesländer wie Brandenburg, Sachsen und Thüringen seien "längst eigenständig aktiv." Auch die bayerische AfD stehe "weit außerhalb unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und ist ein Sicherheitsrisiko für unser Land."

Markus Bayerbach habe sich wie seine Kollegin Anne Cyron "munter an der unsäglichen AfD-Chatgruppe beteiligt, in der unter anderem demokratische Wahlen abgelehnt wurden und zum Sturz der Demokratie aufgerufen wurde", erklärte die SPD-Abgeordnete Wild, die auch dem Bildungsausschuss angehört. Bayerbach habe versucht, dies gegenüber dem Bildungsausschuss zu verschleiern: "Damit ist jegliche Arbeitsgrundlage hinfällig. Bayerbach ist als Vorsitzender des Bildungsausschusses völlig untragbar."

"Aus dem Kontext gegriffen"

In einer am Donnerstag veröffentlichten Erklärung der AfD-Landtagsfraktion heißt es: Man verwahre sich uns "gegen alle Versuche, die AfD zu diffamieren, etwa mit aus dem Kontext gegriffenen Aussagen einzelner Personen in einer Chat-Gruppe." Die AfD-Mandatsträger seien "rechtstreue, patriotisch orientierte Demokraten, für die das Wohl unserer Heimat an erster Stelle steht." Rechtswidrige und undemokratische Äußerungen oder Verhaltensweisen, die den Bürgern sowie der freiheitlich-demokratischen Ordnung schadeten, "lehnen wir entschieden ab", heißt es in der Erklärung.

Es könnte für die AfD schwierig werden, im Falle der wahrscheinlichen Abberufung ihres Ausschussvorsitzenden Bayerbach einen anderen unvorbelasteten Kandidaten für diese Funktion zu finden. Nach Medienformationen sollen der "Nachrichtengruppe" 16 der noch 18 bayerischen AfD-Landtagsabgeordneten angehören. Zu Beginn der Legislaturperiode waren es 22.

Personen, die "ernsthafte und nachdrückliche Aufrufe zum 'Umsturz' beziehungsweise zum 'Bürgerkrieg'" von sich geben, müssen mit nachrichtendienstlicher Beobachtung rechnen. Das teilte das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) auf Nachfrage mit. Dabei sei zunächst unerheblich, ob diese einer Partei zugerechnet werden könnten. Für die verfassungsschutzrechtliche Beurteilung einer Partei sei ausschlaggebend, ob die Äußerungen der Partei zugerechnet werden könnten. "Hierbei ist von Bedeutung, welche Funktion entsprechende Parteimitglieder haben, in welcher Funktion die Aussagen getätigt wurden und inwieweit die Aussagen einzelner Parteimitglieder von anderen mitgetragen werden", so ein Sprecher des LfV.

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