Ursula Münch im Interview

Poker nach der Bundestagswahl: Polit-Expertin erklärt, was jetzt auf Deutschland zukommt

27.9.2021, 14:56 Uhr
 Ursula Münch, Politikwissenschaftlerin, zu Gast bei Anne Will in der ARD im Jahr 2018. 

© imago images/Jürgen Heinrich, NN  Ursula Münch, Politikwissenschaftlerin, zu Gast bei Anne Will in der ARD im Jahr 2018. 

Armin Laschet meint, dass er als Zweiter doch noch zum Sieger erklärt werden könnte. Manche halten das für schlechten Stil. Sie auch?

Münch: Man könnte auch sagen, er ist ein besonders mutiger Verlierer, der weiter eine Chance für die Union sieht. So gesehen ist er kein schlechter Verlierer, sondern jemand, der plötzlich jenen Wagemut zeigt, den sie in der Union gerne schon während des Wahlkampfes gesehen hätten.



CSU-Chef Markus Söder hat allerdings wenige Tage vor der Wahl erklärt, nur der Erstplatzierte werde die Regierung stellen. Wieso denkt er jetzt um?

Münch: Für die Union hat sich die Lage verändert, weil der SPD eine Option weggebrochen ist. Olaf Scholz kann der FDP nicht mehr mit einem Links-Bündnis drohen. Das wäre in den Verhandlungen ein Vorteil für ihn gewesen. Ich bin mir sehr sicher, dass er dieses Bündnis nie eingegangen wäre, aber allein die Option hätte gereicht. Jetzt haben wir Chancengleichheit zwischen Union und SPD. Laschet und Söder nutzen das.

Wenn Sie sich die vier Parteien anschauen, die im Rennen sind: Wo sehen Sie die größten Schnittmengen, was wäre für Sie die wahrscheinlichste Koalition?

Münch: Das ist schwierig. Die Grünen neigen insgesamt zur SPD; sie haben aber mit ihr beim Kohleausstieg ein Problem. Die SPD ist stark auf Arbeitnehmer und Arbeiter ausgerichtet. Scholz hat deutlich gemacht, dass er den Kohleausstieg nicht so vorantreiben wird, wie das Annalena Baerbock fordert. Sie wiederum spricht ständig von einer Klimaregierung und einer Klimakoalition. Das könnte das Einfallstor für die Union sein. Übrigens auch für die FDP in den Vorgesprächen mit den Grünen.

Laschet treibt den Kohleausstieg auch nicht voran.

Münch: Das ist richtig. Aber er hat einen Markus Söder an der Seite, dem der Kohleausstieg schon deshalb leicht fällt, weil er sein eigenes Bundesland nicht betrifft. Das ließe sich auch damit begründen, dass die Kohleindustrie in absehbarer Zeit nicht mehr rentabel arbeiten wird und ein Richtungswechsel deshalb vertretbar wäre. Ähnliches gilt für die Mobilitätswende; hier könnte sich die FDP auf die Grünen zubewegen und ihnen vielleicht das Verkehrsministerium überlassen. Die Union kann den Grünen ein weiteres Angebot machen, das die SPD nicht hat: Sie kann ihnen das Amt der Bundespräsidentin anbieten. Das ist zwar letztlich nicht ausschlaggebend, aber damit könnten die Grünen auch jene trösten, die mit einer Jamaikakoalition nicht glücklich wären.

Wen sehen Sie dann als Bundespräsidentin, Annalena Baerbock?

Münch: Nein, Katrin Göring-Eckart. Baerbock sehe ich eher als Innenministerin, weniger als Außenministerin. Aber das ist eine andere Frage.



Wann wird die Regierung stehen?

Münch: Das werden richtig schwierige Verhandlungen. Allerdings beschleunigt sich das Verfahren etwas, weil der SPD das Linksbündnis abhanden gekommen ist. Dafür ist eine große Koalition als Rückfalloption wieder denkbar, auch wenn sie niemand will. Es wird knapp werden bis Weihnachten. Gut möglich, dass Angela Merkel Mitte Dezember die Amtszeit von Helmut Kohl überbieten wird.

Also doch endlose Verhandlungen, wie wir das schon mal hatten?

Münch: Ich glaube, dass es diesmal anders laufen wird als bei den Jamaika-Verhandlungen vor vier Jahren, weil Grüne und FDP schon in den Vorgesprächen einige Hürden abräumen werden. Vielleicht haben alle aus diesen idiotisch abgelaufenen Jamaika-Verhandlungen gelernt und schaffen es, hinter verschlossenen Türen und nicht öffentlich auf Balkonen zu verhandeln.

Vor allem die FDP sollte dazugelernt haben, an der Jamaika gescheitert ist.

Münch: Lindner erzählt, dass Union und Grüne sich damals parallel immer wieder getroffen haben. Die FDP hat sich immer an den Rand gedrängt gefühlt. Sie war gerade erst wieder in den Bundestag eingezogen; viele Gesprächskanäle waren ausgetrocknet und Union und Grüne deshalb besser aufgestellt. Dagegen hat Lindner nun vorgebaut.

Wenn wir in die Zukunft blicken: Werden Dreier-Konstellation der Standard werden und die Volksparteien klein bleiben?

Münch: Ich gehe davon aus, das das auf Bundesebene tatsächlich Standard wird und wir Probleme haben werden, stabile Regierungen aufzubauen. Auf Landesebene sehe ich das anders. Wir haben regionale Hochburgen, die farblich ganz unterschiedlich geprägt sind. Dafür müssten auf Bundesebene die Ränder schwächer werden. Das wird brauchen, wenn es denn jemals eintritt.



AfD und Linke haben aber doch verloren?

Münch: Ja, aber sie spielen auf Bundesebene wegen ihrer starken Ergebnisse in Ostdeutschland weiter eine Rolle. AfD und Linke sind dort nicht an den Rand gedrängt. Das ist unsere westdeutsche Perspektive. Wir haben unterschiedliche Parteiensysteme in Ost, West und im Bund.

Sehen Sie das Ende der Volksparteien?

Münch: Sie pendeln sich auf niedrigem Niveau ein. Beide Parteien haben jeweils 75 Prozent der Bevölkerung nicht hinter sich. Volkspartei bemisst sich zwar am Zuspruch, für mich aber auch daran, ob sie den Anspruch erheben, dass sie in allen Milieus ankommen. Das tun Grüne und FDP nicht. Sie kommen nur in den ressourcenmäßig besser ausgestatteten Milieus an.

Der Bundestag ist nicht mehr repräsentativ, gerade bei Union und SPD: zu wenige Frauen, junge Menschen, Migranten. Das spiegelt die Gesellschaft nicht mehr. Wo ist das Querschnitt und Volkspartei?

Münch: Das ist für mich ein wichtiges Signal dieser Wahl, dass die voraussichtlichen Koalitionspartner Grüne und FDP bei den Jüngeren besser ankommen. Aber das ändert an der Demografie der Republik nichts. Die Älteren und Alten haben ein deutlich stärkeres Gewicht. Die Crux besteht darin, dass SPD und Union von Älteren zwar gewählt werden, aber natürlich auch Politik für die Jüngeren machen müssen. Dort kommen sie aber nicht mehr an.



Warum nicht?

Münch: Die Jüngeren trauen die Modernisierung unserer Gesellschaft den beiden nicht zu. Das ist eine klare Absage an die Etablierten und dafür haben sie das Korrektiv ins Parlament gewählt. Allerdings gehen auch zu wenig Jüngere zur Wahl. Grundsätzlich läuft Repräsentation in den Parlamenten nicht darüber, dass sie spiegelbildlich die Gesellschaft abbilden. Sie läuft über die Themen und die Belange aller, die sich die Parteien zu eigen machen müssen, auch die der Nichtwähler.

Tun das die Volksparteien?

Münch: Es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig. Sowohl der Union als auch der SPD sterben über kurz oder lang die Mitglieder weg. Angela Merkel weiß das. Wahlforscher haben ihr das schon vor Jahren gesagt, dass sie die CDU erneuern muss. Deshalb hat sie die CDU sozialdemokratisiert und für Frauen geöffnet. Das haben in ihrer Partei nur nicht alle verstanden. Jetzt muss die CDU das für die Jungen schaffen. Allerdings darf es auch nicht zu viel Revolution sein, sonst verliert sie die Konservativen.

Markus Söder hat seine CSU auf grünen Kurs geschickt. Trotzdem liegt die CSU in Bayern nur bei 31,7 Prozent. Ist das die Quittung für Söders grüne Wende?

Münch: Söder ist an mehreren Stellen auf Widerstand gestoßen. Die Freien Wähler haben ihm Stimmen abgenommen bei denen, denen seine Corona–Politik zu restriktiv war. Seine konservative Basis ist skeptisch gegenüber einer stärker ökologisch ausgerichteten Politik. Und viele wollten nicht schon wieder diese Spielchen mit der CDU, dieses sie vor-sich-her-treiben, sie kritisieren und doch wieder gemeinsam zu regieren. Es war nicht allein sein ökologisch ausgerichteter Kurs. Ohne ihn wäre die CSU auch gar nicht zukunftsfähig. Da müssen einige noch umdenken.



Sollte er mit Blick auf die Landtagswahlen seinen Kurs halten?

Münch: Er kann doch nicht wieder zurückgehen. Das wäre falsch. Wir haben den Klimawandel als Thema, egal, wie die Parteien das finden. Er muss beantworten, wie er Klimapolitik glaubwürdig und wirtschaftsverträglich gestaltet und wie er sich hier gegen die Grünen abgrenzt. Darum wird es gehen. Alles andere funktioniert nicht.

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