Rücktrittsangebot

Rücktrittsangebot: Marx macht Druck auf Woelki - und den Papst

4.6.2021, 16:42 Uhr
Sieht die Kirche an einem "toten Punkt": Kardinal Reinhard Marx.

© Harald Oppitz/KNA Sieht die Kirche an einem "toten Punkt": Kardinal Reinhard Marx.

Da drückt einer aus, was viele an der Basis der katholischen Kirche umtreibt: Sie sei "an einem toten Punkt". Das sagt nicht irgendein Kirchenkritiker oder unzufriedener Gottesdienstbesucher, nein: Das sagt ein Kardinal, der lange ranghöchste deutsche Katholik.

Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising und bis vor gut einem Jahr Vorsitzender der Bischofskonferenz, bietet dem Papst seinen Rücktritt an: Das ist ein Paukenschlag, ein Alarmruf für die katholische Kirche.

Aus dem "toten Punkt" könne auch ein Wendepunkt werden, hofft Marx. Sein Schritt zeigt aber: Diesen Wendepunkt gibt es noch nicht.

Protestantisches Leitmotiv der sich erneuernden Kirche

Der Noch-Kardinal nennt als Grund für sein Rücktrittsgesuch den unzureichenden Umgang der Amtskirche mit dem Missbrauchs-Skandal. Es sei viel zu wenig, diesen unerhörten Vorgang rein administrativ zu erledigen; es brauche eine Reform der Kirche, sagte er bei seinem Statement am Nachmittag. Und der Ökumene-Befürworter, stets nicht nur politisch sehr nah bei EKD-Ratschef Heinrich Bedford-Strohm, ergänzte, die Kirche müsse sich "immer wieder" erneuern - ein protestantisches Leitmotiv.

Marx traut ihr diese Erneerung aktuell offenbar nicht zu. Seine Kritik zielt dabei vor allem auf zwei Akteure: zuerst auf den Kölner Kardinal Woelki, dann auf den Papst. Marx meint Woelki, wenn er dem Papst wörtlich schreibt, „dass manche in der Kirche gerade dieses Element der Mitverantwortung und damit auch Mitschuld der Institution nicht wahrhaben wollen und deshalb jedem Reform- und Erneuerungsdialog im Zusammenhang mit der Missbrauchskrise ablehnend gegenüberstehen“.

Marx tut, was Woelki ablehnt

Marx tut, was Woelki mehrfach versäumt, ja abgelehnt hat: Er zieht persönliche Konsequenzen. Auch dort, wo Marx tätig war und ist, in Trier und München/Freising, gab es Missbrauchsfälle; demnächst wird ein Abschlussbericht fürs Erzbistum vorgelegt, das Marx noch leitet.

Woelki bleibt ungeachtet der viel detaillierteren Missbrauchs-Vorwürfe im Erzbistum Köln im Amt. Ja, er war dort noch nicht aktiv, als diese Fälle passierten. Aber Verantwortung übernehmen auch für Geschehnisse, die weiter zurückliegen - das tun (manche) Politiker, das tut nun auch Marx.

Gelb-rote Karte

Wie krisenhaft sich die Lage der Kirche zuspitzt, belegt die Tatsache, dass der Vatikan zwei Bischöfe zu einer Sondermission nach Köln entsandt hat. Sie sollen nochmal alles prüfen. Als "gelb-rote Karte" für Woelki werten Vatikan-Kenner diesen ungewöhnlichen Schritt.

Von Papst Franziskus selbst kommen widersprüchliche Signale. Sah es zu seinem Amtsantritt so aus, als sei der Argentinier einer, der seine Kirche erneuern wolle, so wachsen inzwischen die Zweifel, ob er dazu die Kraft (und vor allem die Macht im Vatikan) hat.

Beim Thema "Segnung für homosexuelle Paare" stieß der Vatikan kürzlich mit seiner ablehnenden Haltung in dieser Frage alle vor den Kopf, die auf Reformen setzen. Die Kirche könne "Sünde nicht segnen", hieß es in dem kalt wirkenden Dokument der Glaubenskongregation. Der Papst selbst hatte sich zuvor mehrfach für die Rechte Homosexueller stark gemacht.

Dogmatisch und abgehoben

Marx sprach diesen Punkt nicht an. Er passt aber ins Gesamtbild einer zusehends dogmatisch-abgehoben wirkenden Kirchenleitung, die sich von der Lebenswelt vieler Glaubenden längst weit entfernt hat.

Die Ökumene - sie lebt an der Basis, aber der Vatikan bremst das Zusammenwachsen der Konfessionen aus. Die Rolle der Frauen - da drängen die Gemeinden seit Jahren auf Veränderungen, doch Rom mauert und klopft alte Dogmen fest.

Erstarrte Sprache

Die katholische Kirche - zumindest ihre Spitze - strahlt zu selten das aus, was Christi Botschaft doch im Kern ausmacht: (Nächsten-)Liebe, Demut, bedingungsloser Einsatz für Außenseiter und Schwache. Die Botschaften des Vatikan sprechen eine andere, herzlos wirkende, erstarrte Sprache.

Das zeigt sich auch im Umgang mit den Missbrauchsfällen: sehr spät, erst unter Druck, scheibchenweise - so gingen die Verantwortlichen an diese Skandale heran. Da pervertierten zu viele Geistliche jene Liebe, die Kennzeichen ihres Glaubens sein soll, auf menschenverachtende, ja zerstörerische Art - und die Reaktionen wirkten manchmal so, als ginge es um Nebensächlichkeiten.

Vatikan unter Druck

Marx will da nicht mehr mitmachen. Ob der Papst seinen Rücktritt annehmen wird? Der Kardinal setzt auch Franziskus und den gesamten Vatikan unter Druck: Kirche, wohin gehst Du? Zu den Menschen? Oder weiter weg von ihnen?

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