Salafisten in Bayern: "Der Terrorismus war nie aus Europa verschwunden"

6.11.2020, 17:49 Uhr
Auch in Nürnberg gab es bereits Zusammenkünfte von radikalen Salfisten.

© dpa Auch in Nürnberg gab es bereits Zusammenkünfte von radikalen Salfisten.

Herr Dr. Körner, wegen der Vorfälle in Frankreich, Wien und auch Dresden wird davon gesprochen, dass der "islamistische Terror wieder da" sei. Kann man das aus bayerischer Sicht so sagen? Hat sich die Gefährdungslage mit Blick auf den extremistischen Islamismus in Bayern in letzter Zeit verändert?

Körner: Der islamistische Terrorismus war zu keinem Zeitpunkt aus Europa verschwunden, auch wenn der Rückgang des Anschlagsgeschehens das zwischenzeitlich glauben machte. Salafistische Bestrebungen sind auch in Bayern weiterhin von großer Relevanz und stellen eine Gefahr für den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt dar. Nach dem terroristischen Vorfall in Dresden sowie den drei islamistisch motivierten Anschlägen in Frankreich, handelt es sich bei dem Anschlag in Wien um den nun fünften islamistischen Anschlag in Europa binnen weniger Wochen. Auch im bayerischen Waldkraiburg gab es im April und Mai 2020 jihadistisch-salafistisch motivierte Anschläge auf Ladengeschäfte türkischstämmiger Mitbürger.


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Haben Sie Erkenntnisse, dass in Bayern Anschläge geplant werden?

Körner: Zwar liegen gegenwärtig keine konkreten Erkenntnisse zu Anschlagsplanungen in Bayern vor, dennoch muss weiterhin auch für Deutschland und Bayern von einer anhaltenden hohen Gefahr von jihadistisch motivierten Gewalttaten ausgegangen werden.

Kann eine solche Tat wie in Wien auch jederzeit in München oder anderen bayerischen Städten stattfinden?

Körner: Die bayerischen Sicherheitsbehörden stehen untereinander und mit ihren Partnerbehörden im restlichen Bundesgebiet im engen Austausch. Bundes- und bayernweite Durchsuchungsmaßnahmen bis hin zu Verhaftungen im Bereich der salafistischen Szene zeigen das entschlossene Vorgehen gegen die Verbreitung jihadistischen Gedankengutes sowie gegen Anschlagsplanungen. Dennoch zeigen nicht zuletzt die jihadistisch motivierten Anschläge in Ansbach und Würzburg im Jahre 2016 sowie in Waldbraiburg im April und Mai 2020, dass trotz intensiver sicherheitsbehördlicher Maßnahmen und Zusammenarbeit derartige Vorfälle auch in Bayern nicht gänzlich ausgeschlossen werden können.

Hat sich die Zahl gewaltbereiter islamistischer Gefährder in Bayern in letzter Zeit verändert? Können Sie Zahlen nennen?

Körner: Als „Gefährder“ werden Personen eingestuft, bei denen auf Grundlage von Tatsachen zu befürchten ist, dass sie beabsichtigen, schwerwiegende politisch motivierte Straftaten zu begehen. Hierzu zählen etwa terroristische Anschläge. Die Einstufung von Personen als „Gefährder“ liegt in der Verantwortung der Polizeibehörden, die den gesetzlichen Auftrag für die Gefahrenabwehr und die Strafverfolgung haben. Derzeit liegt die Zahl der bayerischen Gefährder im mittleren zweistelligen Bereich, wobei sich die überwiegende Mehrheit hiervon im Ausland beziehungsweise in Haft befindet.

Können Sie das etwas konkretisieren?

Körner: Für Bayern geht das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz derzeit von einem Potenzial von etwa 760 Personen aus, die dem salafistischen Spektrum zugerechnet werden. Von diesen rechnen wir etwa 20 Prozent dem gewaltorientierten Spektrum zu. Dazu zählen Personen, die Gewalt befürworten oder unterstützen, aber auch solche die zur Anwendung von Gewalt bereit sind beziehungsweise bereits jihadistisch motivierte Gewalttaten verübt haben. In den letzten Monaten ergab sich hier keine signifikante Änderung.


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Werden islamistische Organisationsstrukturen auch in Bayern wieder aufgebaut oder müssen wir "nur" mit Einzeltätern rechnen, die allenfalls lockeren Kontakt mit ISIS oder anderen Terrororganisationen haben?

Körner: Wie im restlichen Bundesgebiet zeichnet sich auch die salafistische Szene in Bayern seit Jahren durch eine weit verzweigte, heterogene, aber meist nur lose organisierte und sehr dynamische Netzwerkstruktur aus. Feste formale Organisationsstrukturen gibt es in der Regel nicht. Ausnahme sind örtliche salafistische Vereine, die häufig Trägervereine salafistisch geprägter Moscheen sind. Daneben gibt es lose Personennetzwerke und autonom agierende Einzelpersonen, die salafistische Aktivitäten entwickeln. Die salafistische Netzwerkstruktur findet sich sowohl in der realen Welt als auch im virtuellen Raum. Allgemein stellen wir in den letzten Jahren eine deutliche Verlagerung der Aktivitäten in den virtuellen Raum fest. Auch Missionierungsaktivitäten und Rekrutierungsprozesse finden zunehmend online statt.

Aber aktiv werden nur einzelne?

Körner: Das jüngste jihadistische Anschlagsgeschehen in Europa ist durch einzeln agierende Täter geprägt. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Täter keine Verbindung zu salafistischen Strukturen hatten. Dies wurde beim jüngsten Anschlag in Wien erneut deutlich.

Welcher Art sind diese Gefährder? Migranten, zurückkehrende Bürgerkriegsteilnehmer, deutsche oder ausländische Staatsbürger, die sich hier radikalisiert haben? Der österreichische Bundeskanzler und der tschechische Ministerpräsident haben sofort einen Zusammenhang zwischen dem Attentat von Wien und illegaler Migration hergestellt. Besteht aus Ihrer Sicht ein solcher Zusammenhang bezogen auf die bayerische Szene?

Körner: Unter den Menschen, die von salafistischen Organisationen oder Personen des salafistischen Spektrums „angeworben“ werden, befinden sich sowohl Personen mit als auch ohne Migrationshintergrund. Dies gilt auch für die polizeilich eingestuften Gefährder. Die Analyse der bisherigen Gefährdungs- und Ausreisesachverhalte hat gezeigt, dass die Lebensläufe islamistisch-jihadistisch geprägter Personen äußerst heterogen sind.