Seehofer zu Querdenken-Demo: Polizei nicht vorschnell kritisieren

9.11.2020, 07:31 Uhr
Tausende Menschen blieben in Leipzig nach der Aufforderung der Polizei, die Versammlung aufzulösen stehen und demonstrierten bis in den Abend weiter. 

© Sebastian Kahnert, dpa Tausende Menschen blieben in Leipzig nach der Aufforderung der Polizei, die Versammlung aufzulösen stehen und demonstrierten bis in den Abend weiter. 

"Wir müssen damit aufhören, die Taktik der Polizei im Nachhinein ohne Kenntnis von Details und ohne vollständiges Bild per Ferndiagnose zu hinterfragen. Alle Beteiligten, die Versammlungsbehörden, die Polizei und die Gerichte müssen im Lichte des aktuellen Infektionsgeschehens verantwortungsvolle Entscheidungen treffen", sagte er am Sonntagabend in einer Mitteilung seines Ministeriums.

"Das Versammlungsrecht muss gewährleistet werden, erst recht in der Krise. Aber die Regeln der Versammlungsbehörden müssen eingehalten werden und durchgesetzt werden können", erklärte Seehofer. Er fügte hinzu: "Die Polizei hat meine volle Rückendeckung."

Bei der "Querdenken"-Demonstration in Leipzig mit mehreren Zehntausend Teilnehmern hatte es am Samstag laut Polizei massenweise Verstöße gegen die Hygiene-Auflagen gegeben. Sie wurde nach zweieinhalb Stunden aufgelöst. Die Demonstranten zogen danach noch über den Innenstadtring, obwohl ihnen das untersagt war - ohne dass die Polizei dies verhinderte. Die Stadtverwaltung hatte die Kundgebung an den Stadtrand verlegen wollen, war aber am Oberverwaltungsgericht gescheitert.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) verlangte eine "gründliche Aufklärung". "Was wir gestern in Leipzig gesehen haben, ist durch nichts zu rechtfertigen. Die Demonstrationsfreiheit ist keine Freiheit zur Gewalt und zur massiven Gefährdung anderer."

Leipzigs Polizeipräsident Torsten Schultze verteidigte das Vorgehen der Polizei. Sie habe drei Ziele gehabt: die Gewährleistung eines friedlichen Verlaufs, die Verhinderung von Gewalttaten und die Durchsetzung des Infektionsschutzes, sagte er in einem Videostatement. Die ersten beiden Ziele seien weitgehend erreicht worden, das dritte nicht. "Man bekämpft eine Pandemie nicht mit polizeilichen Mitteln, sondern nur mit der Vernunft der Menschen."

Nach Auflösung: Teilnehmer demonstrierten weiter

Die Polizei sprach am Samstag von 20.000 Menschen auf dem Augustusplatz, die Initiative "Durchgezählt" schätzte die Gesamtzahl der Teilnehmer sogar auf 45.000. Zunächst verlief die Kundgebung größtenteils friedlich. Wegen des Verstoßes gegen die Auflagen löste die Stadt Leipzig die Versammlung kurz vor 16 Uhr auf.

Faktisch blieben die Menschen aber einfach stehen, nur wenige verließen wie aufgefordert das Stadtzentrum. Die Masse verlangte, über den Ring zu ziehen, den Ort der Montagsdemonstrationen 1989. Gegen 18 Uhr ließ die Polizei die vielen Tausend Menschen dann laufen. Man hätte die Masse nur unter Einsatz massiver Gewalt zurückhalten können, erklärte Polizeisprecher Olaf Hoppe.

Die Leipziger Polizei bilanzierte am Sonntag für sämtliche Einsätze 102 Straftaten mit 89 Beschuldigten, darunter Angriffe auf Vollstreckungsbeamte, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen. Es habe 13 vorläufige Festnahmen und 18 Ingewahrsamnahmen gegeben. Zudem seien 140 Ordnungswidrigkeiten erfasst worden.

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