Wahl in Hamburg: Es gibt sie noch, die Volksparteien

24.2.2020, 07:15 Uhr
SPD Spitzenkandidat und Erster Bürgermeister Peter Tschentscher und seine Ehefrau Eva-Maria hatten nach der ersten Prognose in Hamburg allen Grund zum Jubeln.

© Axel Heimken, dpa SPD Spitzenkandidat und Erster Bürgermeister Peter Tschentscher und seine Ehefrau Eva-Maria hatten nach der ersten Prognose in Hamburg allen Grund zum Jubeln.

Beim Blick auf solche Wahlergebnisse reibt man sich verblüfft die Augen – und fühlt sich um ein paar Jahrzehnte zurückversetzt: Die eine Volkspartei kommt trotz deutlicher Verluste auf beinahe 40 Prozent, die andere holt fast 25 Prozent. Klare Mehrheiten? Kein Problem!

Unaufgeregte hanseatische Politik

Zwar muss man einige Parteinamen austauschen: Die Grünen haben (wie nun in Hamburg) teils die CDU, in der Regel (wie etwa in Bayern) aber die SPD als Volkspartei Nummer zwei abgelöst. Aber solche Resultate sind selten geworden, gerade zuletzt mit den Landtagswahlen im Osten und ihren teils instabilen Verhältnissen – siehe vor allem das aktuelle Beispiel Thüringen.

Sind Hamburger Verhältnisse da etwas Außergewöhnliches? Sie müssen es nicht bleiben, wenn die Parteien nachahmen, was da (nicht nur) in der Hansestadt geschieht: Da wird seit Jahrzehnten sachlich, unaufgeregt, eben hanseatisch Politik gemacht. Und es ist nicht so einfach zu sagen, welche Partei den Bürgermeister stellt. Meistens die SPD, vorübergehend die CDU – aber sie unterschieden sich kaum. Unideologisch, liberal und ziemlich wirtschaftsfreundlich wurden und werden Weichen gestellt. Eine Politik, die zur weltoffenen Hansestadt passt. Wohnungs- und Verkehrsprobleme sind, wie in allen Großstädten, die größten Sorgen der Bürger.

Die Hamburg-Wahl erlaubt wegen ihres stark kommunalen Charakters weniger Rückwirkungen auf den Bundes-Trend als andere Landtagswahlen. Aber dass ein Amtsinhaber trotz der Krise seiner Partei im Bund vielleicht auch deshalb so gut abschnitt, weil er auf Besuch von Berliner SPD-Prominenz verzichtete – das sollte Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu denken geben. Von der bisher nicht sonderlich glücklich agierenden Doppelspitze profitiert die SPD nicht; auffällig ist die Kluft zwischen den in der Regel lautlos Regierenden in Berlin und einer Parteiführung, die in Tagespolitik nur indirekt involviert ist.

Zweite Volkspartei – in Städten

Der Aufstieg der Grünen zur zweiten Volkspartei geht zumindest in den Großstädten – ihren Hochburgen – ungebremst weiter. Auch da zeigt sich erneut eine zusehende Spaltung zwischen Stadt und Land: Man kann in einer Metropole mit Bussen und Bahnen sehr leicht das Zurückdrängen von Autos und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs fordern – auf dem Land mit miserabler oder teils gar nicht vorhandener ÖPNV-Anbindung gibt‘s dafür kaum Stimmen.

Die FDP im liberalen Hamburg bekam Prügel für das von ihr mit angerichtete Desaster in Thüringen. Die in Hamburg extrem konturlose CDU wurde Opfer der populären rot-grünen GroKo dort - und auch ihrer lavierenden Bundespartei: Das Wochenende zeigte, wie sehr die Union um ihren Kurs kämpfen muss. Denn das Thüringer Trauerspiel geht auch nach dem Kompromiss weiter: Die in Erfurt ausgehandelte Lösung – die CDU verhilft dem Linken Ramelow zur Übergangs-Macht, in einem Jahr gibt es Neuwahlen – ist pragmatisch. Sie verhindert, dass das Land unregierbar bleibt – und dass sich die CDU abhängig macht von der AfD. Aber die Puristen pochen auf klare Trennlinien. Sie sollten auf erfahrene Köpfe vor Ort hören, auf Christine Lieberknecht oder auch auf Joachim Gauck, die so eine unideologische Lösung wollten.

Die Linke normalisiert sich - die AfD radikalisiert sich

Denn das ist offensichtlich: Die Linke hat zwar etliche Ideologen in Graubereichen der Demokratie in ihren Reihen, die einen anderen Staat wollen. Bodo Ramelow ist da in seiner Bürgerlichkeit am weitesten vorgedrungen in die Mitte. Aber die Linke wird zusehends zur normalen Partei, sie radikalisiert sich nicht. Für die AfD gilt das Gegenteil: Sie tut gern so, als sei sie bürgerlich. Doch ihre Worte und Taten zeigen eine wachsende Radikalisierung; Björn Höckes "Flügel" zählt für Alexander Gauland tatsächlich zur "Mitte der Partei" – mehr ist da nicht zu sagen. Diese Partei will die Demokratie mit deren Methoden aushebeln. Dass die AfD erstmals seit Jahren zurückfiel und fast an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, das ist eine gute Nachricht für Demokraten.

Zur AfD bleibt der Trennungsstrich weiter bitter nötig. Die CDU muss aber ihre Abgrenzung zur Linken überdenken, will sie politikfähig bleiben. Sie muss ihre Schizophrenie beenden, die der Noch-Chef der Thüringer CDU verkörpert: Mike Mohring wollte nach der Wahl erst mit der Linken kooperieren, dann nichts mehr davon wissen. Nun brachte er am Freitag den Kompromiss auf den Weg – und warnt zugleich vor der Kooperation.

Die Wähler verstehen so etwas nicht – und man kann sie verstehen. Sie wollen funktionierende, möglichst reibungslose Politik, die ihnen ihr Leben leichter macht. Und sie setzen dabei auf Köpfe, nicht auf Programme. Das wird auch unsere Kommunalwahlen prägen.

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