Wutanfälle

So erkennen Sie Choleriker und gehen richtig mit ihnen um

Simone Madre

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23.12.2022, 08:15 Uhr
Sowohl Männer als auch Frauen können Choleriker sein.

© IMAGO/marcus Sowohl Männer als auch Frauen können Choleriker sein.

In diesem Artikel:

Choleriker ist ein Begriff, der gerne mal durch den Raum geworfen wird - ob als Selbstcharakterisierung oder als (heimlich geäußerter) Vorwurf an den Chef, den Ehepartner oder einen anderen Menschen. Aber was bedeutet der Begriff eigentlich genau? Warum handelt ein Choleriker so, wie er handelt? Ist man vielleicht selber einer? Und wie geht man am besten mit einem Choleriker um?

Der Begriff Choleriker bezeichnet einen leicht reizbare, jähzornigen, zu Wutanfällen neigenden Menschen. Dieser Teil der Definition ist allgemein anerkannt. Manche Begriffserklärungen schreiben dem Choleriker zudem positive Charaktereigenschaften wie Willensstärke und Furchtlosigkeit zu.

Sowohl Männer als auch Frauen können Choleriker sein. Anzeichen dafür sind, wenn Konflikte schnell zum Brüllen ausarten, Menschen gewalttätig werden und beispielsweise Dinge durch die Gegend geschmissen werden. Der Anlass für einen solchen Wutausbruch kann aus der Sicht von Außenstehenden eine Lappalie sein. Der Choleriker selbst fühlt sich aber zu Unrecht behandelt, nicht respektiert und zutiefst verletzt. Oft machen solche Menschen andere für ihre Wutausbrüche verantwortlich.

Einen Choleriker, der sich gut im Griff hat, erkennt man als Außenstehender nicht unbedingt. Aber auch bei ihm oder ihr gibt es rasche Stimmungsumschwünge hin zur Wut.

Der Begriff "Choleriker" kommt von der veralteten Lehre der vier Temperamente, die von griechischen Philosophen der Antike geprägt wurde. In dieser Lehre gibt es vier Körpersäfte, die im Körper vorherrschen können, und die das Verhalten des Menschen prägen.

  • Choleriker haben demnach zu viel gelbe Galle. Das altgriechische Wort cholḗ steht für Galle. Die gelbe Galle soll sie reizbar und erregbar machen.
  • Melancholiker haben demnach zu viel schwarze Galle und sind traurig und nachdenklich.
  • Sanguiniker haben viel Blut und sollen heiter und aktiv sein.
  • Phlegmatiker haben viel Schleim und sind deshalb passiv und schwerfällig.

Die Lehre der vier Temperamente ist bis heute beliebt, auch wenn die Wissenschaft von der Begründung durch die Körpersäfte schon lange nichts mehr hält. Der Persönlichkeitspsychologen Hans Eysenck hat vor rund 70 Jahren ein neues Modell der Persönlichkeitsdimensionen entwickelt, das ebenfalls mit den vier Begriffen Choleriker, Melancholiker, Sanguiniker und Phlegmatiker arbeitet.

Demnach gibt es zwei Dimensionen, die wichtig für die Einordnung einer Persönlichkeit wsind: die Labilität oder Stabilität einer Person als eine Achse und die Introversion oder Extraversion als andere Achse.

  • Labilität bedeutet bei Eysenck, dass man stärker auf angsterregende und stressige Situationen reagiere als stabile Menschen. Folglich neige man zu Nervosität, sei launenhaft, oft unzufrieden, traurig oder unsicher.
  • Stabilität heißt wiederum, dass man weniger stark auf solche Situationen reagiert. Das mache die betroffenen Personen ausgeglichen, ruhig und beherrscht - oder auch sorglos und lässig.
  • Introversion heißt, dass man mehr nach innen gewandt ist und viel Aufmerksamkeit auf sein Innenleben richtet. In Gruppen gelten Introvertierte deshalb meist als still und zurückhaltend. Das sollte man aber nicht mit Schüchternheit verwechseln. Introvertierte müssen nicht schüchtern und Extravertierte können schüchtern sein.
  • Extraversion heißt, dass man nach außen gewandt ist. Der Austausch mit anderen ist anregend. Extrovertierte werden als gesprächig, aktiv, furchtlos und energisch charakterisiert.

Laut Eysenck gilt folgendes:

  • Choleriker sind psychisch labil und extravertiert
  • Melancholiker sind labil und introvertiert
  • Sanguiniker sind stabil und extravertiert
  • Phlegmatiker sind stabil und introvertiert

Das ist eine der Definitionen, die dem Choleriker positive Charaktereigenschaften nachsagt: Er hat viel Energie und kann sich gut durchsetzen. Das sind Eigenschaften, die man als Chef oder Chefin braucht. Daraus lässt sich ableiten, dass viele Führungspersonen extrovertiert sind - und eventuell auch cholerisch sind.

Ein cholerisches Verhalten kann in bestimmten Fällen eine Begleiterscheinung einer psychischen Störung oder Auffälligkeit sein. So leiden Personen auf dem Autismus-Spektrum häufiger an Aggressionen und Wutausbrüchen. Auch bei einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind unerwartete Wutausbrüche typisch. Bei ADHS gibt es rasch wechselnde Gefühle, die auch in Jähzorn umschlagen können. Jähzorn und Gereiztheit bei Männern kann zudem Anzeichen einer Depression sein.

Klar ist, dass Jähzorn ein Gefühl ist, das tief im Menschen verankert ist. Das sieht man beispielsweise an kleinen Kindern, die alles intensiv erleben und noch keine Möglichkeiten haben, sich selbst zu beruhigen. Deshalb rasten sie oft aus oder fangen an zu weinen.

Bei Cholerikern ist Jähzorn oder plötzliche Wut oft nicht böse gemeint. Die Betroffenen fühlen sich ungerecht behandelt, ausgeschlossen oder nicht gesehen. Ein Wutausbruch verschafft ihnen kurzfristig ein Gefühl der Erleichterung. Darauf folgt aber meist Scham und Reue - immerhin wollte man nicht so ausflippen und andere Menschen erschrecken oder anbrüllen. Auch Choleriker wünschen sich, von anderen akzeptiert und gemocht zu werden.

Schnell auszuflippen ist ein angelerntes Verhalten und kann damit auch wieder verlernt werden. Dazu müssen aber mehrere Faktoren zusammenkommen: Der Choleriker oder die Cholerikerin müssen sich ihres Verhaltens bewusst sein und selbst etwas ändern wollen. Es bringt nichts, wenn nur ihr Partner eine Verhaltensänderung will und sie dazu überreden oder zwingen will. Zudem brauchen Choleriker Geduld, auch mit sich selbst.

  • Es ist wichtig, dass sie die Verantwortung für ihr eigenes Verhalten übernehmen. Wenn sie sich dabei ertappen, dass sie einem anderen die Schuld an ihrem Wutausbruch geben, müssen sie einen Gedanken wie den folgenden hinterhersetzen: "Dinge oder Menschen sind es nicht, die mich aufregen. Ich lasse zu, dass ich mich aufrege."
  • Zudem müssen sie sich selbst besser kennen lernen. Dazu ist es sinnvoll, Situationen später genau aufzuschreiben. Wann kam es zum Wutausbruch? Wer war vor Ort? In welchem Moment kippte meine Stimmung und warum? Was habe ich gesagt, was die anderen? Gibt es wunde Punkte, die ich aufarbeiten sollte? Was kann ich daraus lernen? Denn die Wut kann auch ein guter Helfer sein. Sie zeigt uns, wo wir innerlich Probleme haben und welche Bedürfnisse gerade nicht erfüllt werden.
  • Ein Dankbarkeitstagebuch führen. Wenn wir schon beim Schreiben sind: Manchen Cholerikern hilft ein Tagebuch, sich schriftlich abzureagieren und dadurch den Kopf frei zu bekommen. Im Dankbarkeitstagebuch für Choleriker folgt darauf eine Dankbarkeits-Sektion, um den Blick auf etwas Positives zu richten. Das soll gelassener machen und die Stimmung heben.
  • Auch das Umfeld kann helfen. Beispielsweise kann man mit Freunden und Familie ein Signal vereinbaren. Das gibt man selbst, wenn sich ein Wutanfall anbahnt, und verlässt dann den Raum. Somit weiß der andere Bescheid und man kann sich kurz emotional abkühlen. Das Zeichen können auch andere geben, wenn sie den Eindruck haben, dass man gerade zu sehr in Fahrt gerät. Auch dann sollte man auf den Hinweis hören und eine kurze Pause in der Diskussion einlegen.
  • Zudem sollte man üben, die Situation aus dem Augen des anderen zu sehen. Will er mich überhaupt provozieren oder hat er nur gedankenlos etwas dahingesagt? Ist er vielleicht nur so fies, weil er selbst gerade einen schweren Tag hat?
  • Sport kann ausgleichend wirken und dabei helfen, Wut und Stress abzubauen. Somit kann es sich auch lohnen, erst ein Workout zu machen, bevor man in ein potentielles Streitgespräch geht.
  • Professionelle Hilfe lohnt sich, wenn man selbst nicht weiterkommt. Am besten wendet man sich an den Hausarzt oder die Hausärztin, die einen an die richtige Stelle weitervermittelt.

Manchmal will man es sich nicht eingestehen, dass man cholerisch reagiert. Folgende Aussagen helfen Ihnen dabei, sich selbst einzuschätzen. Machen Sie den Test, wie viele der Sätze Sie mit "ja" beantworten können. Je höher die Anzahl, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie ein Choleriker sind.

  1. Fällt es Ihnen schwer, Fehler einzugestehen oder zuzugeben, dass Sie im Unrecht waren?
  2. Kennen Sie Leute, die Angst vor Ihnen haben oder von Ihnen eingeschüchtert sind?
  3. Sind Sie bei anderen Menschen für Ihre Wutausbrüche bekannt?
  4. Fangen Sie bei Streitigkeiten an zu brüllen oder werfen sogar mit Gegenständen?
  5. Staut sich Wut bei Ihnen an, bis sie schließlich raus muss?
  6. Können andere oft nicht verstehen, warum Sie so emotional reagieren?
  7. Wenn Sie einen miesen Tag hatten, sollte man Sie darauf ansprechen oder lieber einen großen Bogen um Sie machen?
  8. Empfinden Sie nach einem Streit oft Schuldgefühle, weil Sie zu weit gegangen sind?
  9. Ecken Sie bei anderen Menschen häufig an?
  10. Wenn Sie wütend werden: Ist das Ihrer Meinung nach eher die Schuld von anderen?
  11. Hält Ihre Familie Sie für einen Choleriker, nachdem sie diesen Artikel gelesen hat?

Wenn der Partner oder die Partnerin cholerisch ist, kann das die Beziehung stark belasten. Wichtig ist, dass der cholerische Mensch an sich arbeitet, um aus dem Muster der Wutanfälle herauszukommen. Zudem sollte man auf sich selbst achten. Dabei geht es nicht nur um die eigene körperliche Sicherheit, sondern auch um die seelische Belastung. Auch für sich selbst kann das regelmäßige Gespräch mit einem Psychotherapeuten heilsam sein.

Für das tägliche Zusammenleben können zudem folgende Tipps helfen:

  1. Nicht persönlich nehmen: Das ist schwer, wenn der Partner oder die Partnerin gerade wütend vor einem steht und einen beschimpft. Aber machen Sie sich bewusst, dass dieses Verhalten eigentlich ein versteckter Hilferuf ist. Ihr Gegenüber kann nicht mit seinen aufwallenden Emotionen umgehen und verfällt deswegen auf Wut und Jähzorn als ungesunden Bewältigungsmechanismus.
  2. Keine Angst vor Konfrontationen haben: Auch wenn Ihr Partner an sich arbeitet, werden die Wutausbrüche wahrscheinlich nie ganz verschwinden. Gehen Sie selbstbewusst und ruhig vor und lassen Sie sich nicht einschüchtern, falls Ihnen das möglich ist. So sorgen Sie dafür, dass sich Ihre Seite des Streits nicht weiter hochschaukelt, und können auch ihm oder ihr den Wind aus den Segeln nehmen.
  3. Nehmen Sie die Gefühle Ihres Partners ernst. Für Sie selbst ist der Streitgrund vielleicht eine Lappalie und Sie können nicht verstehen, warum jemand deswegen so ausrastet? Reden Sie die Gefühle Ihres Partners deshalb nicht klein. Für ihn ist es eine große und wichtige Sache.
  4. Anerkennung schenken und Verständnis zeigen: Oft sind das die Dinge, die dem (unterbewusst) Choleriker fehlen. Er fühlt sich nicht respektiert, nicht als Teil der Gruppe und als unfähig, die Situation gut zu lösen. Wenn man außerhalb von Streitereien und Wutausbrüchen die Beziehung stärkt, kann das helfen, dass diese seltener und weniger heftig werden.
  5. Provozieren Sie nicht: Wenn man sich angegriffen wird, ist die unbewusste Reaktion eine Verteidigung - oder eine Konterattacke. Das gilt auch für Streitgespräche, hilft aber bei Cholerikern nicht weiter. Bleiben Sie ruhig und respektvoll, wenn Sie das schaffen. Sparen Sie sich sarkastische Bemerkungen und Beschimpfungen.
  6. Rechtfertigen Sie sich nicht: Ist Ihr Partner oder Ihre Partnerin wütend, geht auf der Verstandesebene oft nichts mehr. Wenn man versucht, seine Seite zu erklären, wird man kein Gehör bekommen - oder die eigenen Aussagen werden verdreht und als Munition benutzt. Es gibt zwei Möglichkeiten: Man kann versuchen, noch einmal neutral zusammenzufassen, worum es geht, und betonen, dass man das Problem gemeinsam lösen will. Klappt das nicht, empfiehlt sich der nächste Tipp.
  7. Verlassen Sie die Situation. Wenn Wut ungebremst raus muss, dann helfen keine Argumente mehr. Wenn möglich, erklärt man seinen Abgang mit einem kurzen Satz, damit sich der Choleriker nicht alleine und verlassen fühlt. Der Satz kann wie folgt aussehen: "Ich glaube, dieses Gespräch braucht eine Pause. Lass uns später weiterreden."
  8. Überlegen Sie, wo Ihre Grenzen liegen. Man muss und sollte sich nicht alles gefallen lassen. Machen Sie Ihre Grenzen sich und Ihrem Partner klar.

Sind Choleriker die besseren oder schlechteren Liebhaber? Das fragen monatlich mehrere hundert Menschen in der Google-Suche. Eine für alle Paare gültige Antwort gibt es hier nicht. Oft belasten die Wutanfälle die Beziehung und damit auch die Sexualität. Wenn viele böse Worte fallen und kaum liebevolle Momente vorhanden sind, haben beide Partner vermutlich wenig Lust. In anderen Fällen kann die Leidenschaft des Cholerikers aber auch zu einem erfüllten Sexualleben führen.

Sie wollen noch mehr zum Thema lesen? Für Partner und Arbeitskollegen eines Cholerikers gibt es Bücher wie "Mit schwierigen Menschen klarkommen: Wirksame Strategien gegen Choleriker, Dauernörgler und andere Nervensägen" von Silke Weinig. Wer an sich selbst arbeiten will, für den ist "Jetzt reicht's mir aber!: Dein Weg durch Ärger und Wut zum Frieden mit dir und den anderen" von Robert Betz interessant.

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