Musikalischer Kulturkampf in Tennessee
So cool ist Country heute: Unsere Reise zeigt, wie Taylor Swift und Co. Nashville verändert haben
11.2.2023, 06:00 Uhr"Ich war mit ihr auf Tour." Was Jonathan da sagt, klingt wie eine Selbstverständlichkeit, dabei erzählt er mir gerade zwischen zwei Bieren in Martin‘s Bar-B-Que Joint in Nashville, dass er einen Weltstar kennt. "Super nice" sei Taylor Swift zu ihrer Crew gewesen. Überhaupt behandelten Country-Stars - und Jonathan war mit vielen von ihnen unterwegs - ihre Leute gut. Für Swift hat er einst Konzerte in kleiner Runde organisiert, die sie vor ihren großen Tourneeauftritten für ein ausgesuchtes Publikum spielte.
Taylor Swift war das goldene Kind der Stadt
Heute ist Jonathan wieder auf Tour, im Süden der USA. Nicht mit Musikern, sondern mit uns, einer kleinen Gruppe von Journalistinnen und Journalisten aus Deutschland auf Spurensuche im Heimatland des Country. In einem schwarzen Ford zeigt er uns Tennessee. Es geht von Memphis im Südwesten, der Heimat des Blues (Pflichtprogramm: ein Besuch in Elvis‘ Graceland-Ranch), bis in die Smoky Mountains, den Nationalpark im Osten des Bundesstaates. Und natürlich geht es nach Nashville.
Nashville ist die Hauptstadt der Country-Musik, und Taylor Swift ihr goldenes Kind. Oder besser: Sie war ihr goldenes Kind. Dann wechselte sie zum Pop. Die Welt jubelte ihr zu, das alte, traditionsbewusste Nashville nicht mehr so sehr. Long story short: Zwischen Nashville und Taylor ist es kompliziert geworden. Das lässt sich nirgends so gut besichtigen wie an der Legends Corner in Downtown, wo eine Wandmalerei die Legenden des Country zeigt. Taylor Swift haben sie dort übermalt.
Dahinter steht ein Konflikt, wie er in verschiedenen Schattierungen immer wieder in Amerika zu finden ist - ein Konflikt zwischen den Kräften des Alten und des Neuen, zwischen der Macht der Vergangenheit und dem Glauben an die Kraft der Veränderung. Weil Country eine traditionsbewusste, konservative (und ja: auch weiß und männlich geprägte) Szene mit einem Hang zur Verklärung der Vergangenheit ist, gewinnt das Establishment noch immer manchen Kampf um die Deutungshoheit darüber, was eigentlich Country ist – und was nicht.
Wer Nashville für eine bloße historische Kulisse hält, der täuscht sich
Die Stadt Nashville verbindet beides: das Alte und das Neue. Am Broadway reihen sich die Westernshops mit ihren Cowboy-Boots und Hüten zwischen die Honky-Tonks, wie die Country-Kneipen heißen. In denen spielen manchmal gleich auf drei Stockwerken Bands. Wer Klischees sucht, wird sie am Broadway finden. Kid Rock, Blake Shelton, Luke Bryan, sie alle haben hier ihre eigenen Bars eröffnet, ein Trend unter Südstaaten-Musikern. Gerade an Wochenenden ist am Broadway so gut wie kein Durchkommen, so voll ist es.
Eine Ecke weiter steht das Ryman Auditorium, die traditionsreichste Spielstätte des Country, einstiger Sitz der Grand Ole Opry, der legendären Radioshow, die in den 1970er Jahren in eine neue Konzerthalle umgezogen ist. Doch noch immer gilt: Wer in der Grand Ole Opry auftritt, der hat es geschafft.
Auf die Idee, Nashville für eine bloße historische Kulisse, ein Abziehbild der Vergangenheit zu halten, käme aber niemand. Hinter den Country-Bars des Broadway ragen Wolkenkratzer auf, an seinen Enden stehen die modernen Stadien der Tennessee Titans und der Nashville Predators, des Football- und Eishockey-Teams der Stadt. Gegenüber dem Predators-Stadion hat 2021 die Assembly Food Hall eröffnet, die Altes und Neues, Industriestil und moderne Restaurant-Architektur, verbindet – und selbst eiligen Besucherinnen und Besuchern einen Geschmack von der Vielfalt der Südstaatenküche gibt.
Junge Stars bedienen sich beim Pop - und nennen das Country
Aufhalten kann das alte Nashville-Establishment die Veränderung ohnehin nicht mehr – was für das Stadtbild gilt, ist auch in der Musik zu beobachten. Das merkt jeder, der sich die Hits der vielen jungen Stars anhört, die sich bei Pop oder Rap bedienen und keine Scheu haben, das trotzdem Country zu nennen. Country heute ist jung, modern und ja, auch ziemlich weiblich. Selbst wenn es manchem schwerfällt, das zu akzeptieren.
"Country heute, das hört sich doch gar nicht mehr wie Country an", sagt also der ältere Mann auf der Tour zum legendären RCA-Studio B, wo einst Elvis und Country-Legenden wie Willie Nelson ihre Hits aufnahmen. "Well", entgegnet ihm da ein junger Besucher, "it’s just different", Country heute ist einfach anders. Und das ist gut so.
Nun könnte man meinen, wenigstens ein Besuch in der Country Music Hall of Fame müsste für die Gralshüter dessen, was Country in der guten alten Zeit war, so etwas wie ein Refugium sein. Hall of Fame, für mich klingt das nach staubiger Geschichtsstunde zwischen Dolly Parton und George Strait, und ich frage mich: Muss man da überhaupt rein?
Man muss. Natürlich gibt es den Geschichtsunterricht. Aber eine ganze Ausstellungshalle widmet sich dem, was im jeweils letzten Jahr los war in der Country-Szene.
Die mit Abstand beste Songwriterin ihrer Generation
Zu sehen sind diesmal: das Kleid und die Gitarre aus dem Video von Taylor Swifts "I Bet You Think About Me". Ja, Taylor hat inzwischen wieder ein paar Country-Songs geschrieben, 2020 kehrte sie gar auf die große Country-Bühne zurück und spielte – allein, nur sie und ihre Gitarre – bei den wichtigen ACM-Awards.
Es scheint, als hätten sie in Nashville inzwischen verstanden, dass man die mit Abstand beste Songwriterin ihrer Generation natürlich ignorieren kann. Dass das aber nicht unbedingt eine gute Idee ist.
Jonathan, der Musikvideos für Country-Stars produziert, wenn er nicht gerade Touristen durch Tennessee fährt, ist noch heute mit Taylors Gitarrist befreundet. "Ich spiele mit ihm immer Tennis", erzählt er. Das heißt wohl, dass auch ich jetzt über zwei Ecken mit Taylor befreundet bin. Okay, fast.
Mehr Informationen:
Tennessee Tourism
Tel.: 001/615-741-2159
Mint Julep Experiences organisiert u.a. Touren durch Nashville
Anreise:
Flüge ab München und Frankfurt mit Umstieg in den USA
Wohnen:
Margaritaville Hotel Nashville
Tel.: 001/615-986-9300
Beste Reisezeit:
Frühjahr bis Herbst
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