Forscher: "Römer-Modell" für den Karlsgraben widerlegt

17.8.2019, 06:00 Uhr
Schöner Zufall: Aktuell hat ein Biber im Karlsgraben fast direkt über der Wasserscheide seinen Damm gebaut (Bildmitte) und demonstriert damit laut Naturparkführer Roland Starigk genau das Teichsystem, das die Karolinger wohl für ihren Kanal vorgesehen hatten. Dessen eigentliche Sohle liegt allerdings noch sechs Meter tiefer.

© Patrick Shaw Schöner Zufall: Aktuell hat ein Biber im Karlsgraben fast direkt über der Wasserscheide seinen Damm gebaut (Bildmitte) und demonstriert damit laut Naturparkführer Roland Starigk genau das Teichsystem, das die Karolinger wohl für ihren Kanal vorgesehen hatten. Dessen eigentliche Sohle liegt allerdings noch sechs Meter tiefer.

Haben schon die Römer versucht, mit dem Karlsgraben eine Verbindung zwischen Rezat und Altmühl und damit zwischen Rhein, Main und Donau zu schaffen? Der Historiker Wolf Pecher vermutet dies, wie er vergangene Woche in einem Gastbeitrag für unsere Zeitung erläuterte. Seine Hauptargumente: die "stümperhafte" Trassenführung im nördlichen Abschnitt, die geringe Kanaltiefe und die noch heute gut sichtbaren, sehr hohen Wälle im zentralen Bereich nördlich des Treuchtlinger Ortsteils Graben.

Was Pecher bei seiner durchaus schlüssigen Analyse freilich nicht wusste: Den Forschern der Universitäten Jena, Leipzig und Kiel in Kooperation mit dem Landesamt für Denkmalpflege und dem Leibniz-Institut, die in den vergangenen Jahren die Kanaltrasse akribisch untersucht haben, liegen brandneue Erkenntnisse vor, die die Römer-Theorie widerlegen. Darauf machte nun der Weißenburger Naturparkführer Roland Starigk aufmerksam.

Starigk führt seit etlichen Jahren Besucher zu den Überresten des historischen Mammutprojekts. Er ist überzeugt: "Es waren die Karolinger, die hier zuerst gegraben haben. Alle Belege sprechen dafür."

Da ist zunächst die Frage, warum die Kanalbauer mit der Trasse kurz vor der Schwäbischen Rezat scharf nach Norden parallel zum Fluss abgeknickt sind, obwohl sie dort Sumpfgelände erwartete. Tatsächlich findet sich in den Annalen des Frankenreichs für das Jahr 793 der sinngemäße Passus: "Wegen des sumpfigen Erdreichs (...) konnte das Werk nicht vollendet werden. Was tagsüber von den Grabenden heraus geschafft wurde, rutschte nachts wieder zurück."

Gelb der Karlsgraben mit Nordanschluss (oben) und Annäherung zur Bewässerung (Bildmitte) an die Schwäbische Rezat, rot die vom Computer errechnete Ideallinie.

Gelb der Karlsgraben mit Nordanschluss (oben) und Annäherung zur Bewässerung (Bildmitte) an die Schwäbische Rezat, rot die vom Computer errechnete Ideallinie. © Patrick Shaw

Knapp 950 Jahre später beschrieb auch der Weißenburger Lateinschulleiter Johann Alexander Doederlein in einer selbst gezeichneten Karte den Bereich entlang der Rezat nördlich von Dettenheim als "Ried" und "Morast". Und auch die heutigen Forscher hatten bei ihren Grabungen wegen des nur 50 Zentimeter tief liegenden Grundwassers mit dem selben Problem zu kämpfen, wie die Franken vor über 1200 Jahren.

Aber: Bei der Untersuchung der Eichenpfähle, die den Karlsgraben einst abstützen sollten, datierten die Wissenschaftler die ganz im Norden gefundenen Hölzer auf Sommer 792 – über ein Jahr früher als der Fällzeitpunkt der Pfähle im Süden. Die Konstrukteure hatten also gar nicht an der tiefsten (und relativ trockenen) Stelle im Bereich der Europäischen Wasserscheide mit dem Bau begonnen, sondern ganz im Norden an der Anschlussstelle zur Rezat.

Dazu kommt, dass damalige Flussschiffe laut Starigk wenig Tiefgang hatten. Für sie reichte eine Kanaltiefe von etwa 60 Zentimetern – ähnlich wie die der Schwäbischen Rezat. Dass der Karlsgraben stellenweise trotzdem fast 14 Meter im Boden verschwindet (im Abschnitt bei Graben liegt die verschüttete Sohle nochmals fast sechs Meter unter der heute sichtbaren Wasserfläche), ist dem Höhenunterschied zwischen Altmühl (408 Meter), Rezat und der Wasserscheide (421 Meter) geschuldet, den der Kanal ausgleichen musste.

Die neuste Erkenntnis ist freilich die erstaunlichste. Denn aus ihren durch Magnetfeldmessungen und Kernbohrungen gewonnenen Daten ließen die Karlsgrabenforscher den Computer den Kanalverlauf mit der Ideallinie vergleichen, die ein heutiger Ingenieur wählen würde. Und diese stimmt frappierend mit der 1200 Jahre alten Trasse überein. Direkt an der Wasserscheide kreuzen sich die Linien sogar. "Die damaligen Gelehrten – meist Priester – hatten offenbar ein enormes Wissen", so Starigk.

Lediglich der Knick nördlich des Nagelbergs fällt bei den Karolingern schärfer aus als im Modell. Doch auch dafür gibt es laut Starigk eine Erklärung: Der Karlsgraben war nicht als durchgehender Kanal, sondern als Teichsystem angelegt. Und das musste bewässert werden – aus der Rezat, die genau am höchsten Punkt bei Dettenheim die Trasse tangiert.

Exaktes Aushubvolumen errechnet

Ebenfalls brandneu ist das dreidimensionale Modell, das die Wissenschaftler aus den Messdaten erstellt haben. Es ermöglicht, das Aushubvolumen zu bestimmen. Rund 297.000 Kubikmeter Erde holten die Franken aus der "Fossa Carolina", mehr als die Hälfte davon im Mittelteil um die Wasserscheide. Die dortigen Wälle, die mit ihren bis zu 14 Metern Höhe und 20 Metern Differenz zur einstigen Kanalsohle tatsächlich beeindrucken, haben jedoch (auch durch spätere Erosion) nur ein Volumen von etwa 120.000 Kubikmetern. Pechers Theorie von zusätzlich für einen Freispiegelkanal aufgeschütteten Dämmen stützen die Zahlen nicht.

Aber hätten all dies nicht trotzdem auch die Römer erschaffen können? Roland Starigk meint nein. Zum einen hätten die Bohrungen und Grabungen im Umfeld ergeben, dass "der Talboden vor dem Jahr 792 unberührt war". Es gebe weder ältere Stützpfähle noch Hinterlassenschaften wie Werkzeugreste, Fuhrwerkspuren oder Kohle von Feuern.

Zum anderen hatten die Römer ein gut ausgebautes Straßennetz und deshalb nach Starigks Ansicht keinen Bedarf für einen Transportkanal. Die "Reisekönige" des Frankenreichs hätten dagegen in Zeiten, als die Römerstraßen längst verfallen waren, Wasserwege sehr geschätzt. Auch Karl der Große besuchte seine Kanalbaustelle im Jahr 793 per Schiff auf der Altmühl. Das geht aus den Reichsannalen hervor.

Weiter bis zur Rezat kam der König jedoch nicht. Zwar könnte ein früherer Hohlweg in Graben eine einstige Fortsetzung der "Fossa" markiert haben – auf den letzten 700 Metern Richtung Westen fanden die Forscher jedoch keinerlei Spuren eines Kanals mehr. Bis der Traum von einer Verbindung zwischen Rhein und Donau wahr wurde, vergangen weitere 1000 Jahre: Erst im 19. Jahrhundert verwirklichte ihn der Ludwig-Donau-Main-Kanal.

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