Atommüll: In der Region regt sich neuer Widerstand

8.10.2020, 05:40 Uhr
Petra Filbeck, eine der Sprecherinnen des "Bündnis für Atomausstieg und Erneuerbare Energien Regensburg" protestiert: Sie fordert, dass das Müllkraftwerk Schwandorf sofort aufhört, Abfälle aus Kernkraftwerken zu verbrennen. Hans Schuierer, Landrat a. D., gilt als die Symbolfigur des friedlichen Widerstands gegen die WAA.

© Markus Bueb Petra Filbeck, eine der Sprecherinnen des "Bündnis für Atomausstieg und Erneuerbare Energien Regensburg" protestiert: Sie fordert, dass das Müllkraftwerk Schwandorf sofort aufhört, Abfälle aus Kernkraftwerken zu verbrennen. Hans Schuierer, Landrat a. D., gilt als die Symbolfigur des friedlichen Widerstands gegen die WAA.

Was Glaubenssache ist? Im August 1986 entschied dies der Ministerpräsident: Ein Christ, so Franz Josef Strauß, könne "mit guten Gründen" Ja zur Atomkraft sagen, "auch ein Kraftwerk" sei "Teil des göttlichen Auftrags". Mehr noch: Geistliche, die auf dem WAA-Gelände ökumenische Gottesdienste abhalten, betreiben "das Werk des Teufels und nicht das Werk Gottes".
Mehr als drei Jahrzehnte später hat die Historikerin Janine Gaumer einige Stapel mit Akten des Staatsarchivs ausgewertet und über die Verwerfungen, die der Konflikt um die Atomkraft in den 70er und 80er Jahren im Land verursacht hat, eine Doktorarbeit verfasst.

Autor Oskar Duschinger hat über Hans Schuierer, jenen SPD-Landrat, der zur Symbolfigur des friedlichen Widerstands wurde, ein 400-Seiten-Werk vorgelegt und im Film "Wackersdorf" erzählt Regisseur Oliver Haffner von den Kämpfen am Bauzaun, den gewaltsamen Räumungen im Hüttendorf und den Andachten am Franziskus-Marterl.

Das WAA-Widerstands-Marterl ist dem Heiligen Franz von Assisi gewidmet.  Am Marterl trafen sich WAA-Gegner Mitte der 80er Jahre jeden Sonntag zu einer ökumenischen Andacht und zogen danach zum Bauzaun. Heute trifft sich die Marterl-Gemeinde viermal im Jahr zu einer Andacht –  am Heiligen Abend, an den Tschernobyl- und Hiroshima-Gedenktagen und  zur Erinnerung an den Marterl-Patron Franz von Assisi am 4. Oktober. 

Das WAA-Widerstands-Marterl ist dem Heiligen Franz von Assisi gewidmet.  Am Marterl trafen sich WAA-Gegner Mitte der 80er Jahre jeden Sonntag zu einer ökumenischen Andacht und zogen danach zum Bauzaun. Heute trifft sich die Marterl-Gemeinde viermal im Jahr zu einer Andacht –  am Heiligen Abend, an den Tschernobyl- und Hiroshima-Gedenktagen und  zur Erinnerung an den Marterl-Patron Franz von Assisi am 4. Oktober.  © Markus Bueb

Dort, am WAA-Widerstands-Marterl, sind bis heute Andachten zu hören. Der kapellenartiger Bau, im Südosten der geplanten Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf, WAA, gelegen, ist dem Heiligen Franz von Assisi gewidmet – und ein ökumenischer und ökologischer Wallfahrtsort geblieben. Viermal im Jahr trifft sich die Marterlgemeinde zur Andacht: am Heiligen Abend, an den Tschernobyl- und Hiroshima-Gedenktagen und zur Erinnerung an den Marterl-Patron am 4. Oktober – nicht um "Teufelswerk" zu verrichten, vielmehr ist in der Predigt von der ethischen Verantwortung der Menschen für die Schöpfung die Rede und der aktuell diskutierten Suche nach einem Endlager für den Atommüll. Hier, im Taxölderner Forst, wo die riesige Fabrik zur Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennstäbe gebaut werden sollte, erinnern Gedenktafeln an die Zeit des Widerstandes, das Regenbogensymbol mahnt als "Zeichen des Friedens und der Versöhnung".

"Wir dachten damals noch, Leute im Anzug erzählen die Wahrheit"

Vor mehr als 30 Jahren erhob sich die ganze Region – bis dahin hatten sich die Oberpfälzer nur selten offen gegen die Obrigkeit aufgelehnt. "Wir dachten damals noch, Leute im Anzug erzählen die Wahrheit", sagt Wolfgang Nowak. Seine Lebensgeschichte belegt, dass in Wackersdorf mehr zur Debatte stand, als die Zukunft der Kernenergie: In den Kämpfen am Bauzaun wurde nicht weniger als die Demokratie verhandelt.


"Es herrschten bürgerkriegsähnliche Verhältnisse in Wackersdorf"


Nowak war acht Jahre beim Bundesgrenzschutz tätig, sein Geld verdiente er als Buchhalter, 1981 schloss er sich einer Bürgerinitiative gegen die WAA an und protestierte – er, ein braver Bürger, der bis dahin allenfalls bei der jährlichen Fronleichnamsprozession mitlief. Heute ist er 69 Jahre alt; gemeinsam mit Hans Schuierer, 89 Jahre alt, Landrat a. D., besucht er als Zeitzeuge seit Jahren Schulklassen und Vereine – bis Corona den beiden Männern einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.

Nun sitzen sie am Marterl und hören Fürbitten ("Herr schütz’ dieses Land vor Unverstand"), gebeten wird um mehr Kraft für den Widerstand und mehr Hirn für die Atom-Befürworter. Petra Filbeck, Sprecherin des "Bündnis für Atomausstieg und Erneuerbare Energien Regensburg" schließt sich am Marterl den Fürbitten an – und schlägt Alarm: Das Müllkraftwerk Schwandorf verbrennt Abfälle aus den Kernkraftwerken Ohu bei Landshut und Grafenrheinfeld, südlich von Schweinfurt. Die Bürgerinitiative habe dies nur zufällig erfahren und fordert nun den sofortigen Stopp – wer wisse schon, ob durch die Verbrennung von freigegebenem Atommüll die Bevölkerung gesundheitlich belastet werde.

Offene Briefe

Die Bürgerinitiative schrieb in den letzten Wochen viele offene Briefe – an die Bürgermeister der Region und die Landräte. Thomas Ebeling (CSU), Landrat im Landkreis Schwandorf, versteht die Aufregung nicht, und lässt wissen, man "müsse doch froh sein über alles, was wir aus dem Rückbau gut entsorgen können". Er will die Müllgebühren niedrig halten. Und Thomas Knoll, Direktor des Zweckverband Müllverwertung Schwandorf, erklärt, dass das Vorgehen nach der Strahlenschutzverordnung legal ist. In Deutschland existiert die Möglichkeit, schwach radioaktive Reststoffe und Abfälle aus dem Zuständigkeitsbereich von Atomgesetz und Strahlenschutzverordnung in den konventionellen Bereich zu entlassen, die so genannte Freigabe. Im Klartext: Materialien aus einem Atomkraftwerk, das rückgebaut wird, können nach einer "Freimessung" auf einer normalen Hausmülldeponie landen oder als Wertstoff wiederverwendet werden.

Das Freimessen ist legal, aber ist es auch legitim? Bereits seit Jahren werden Reststoffe aus Atomanlagen, sofern sie schwächer radioaktiv sind, nach der Strahlschutzverordnung freigegeben. Gegen dieses Verfahren protestieren Umweltschutzverbände und auch die Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges warnt: Es müsse zumindest dringend geprüft werden, ob eine Konzentration dieser Stoffe in einem Endlager nicht sinnvoller sei als die Verteilung der Radioaktivität in verschiedenen Hausmülldeponien.


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Unter dem Franziskus-Marterl schütteln einige den Kopf. Wird die Menschheit das berühmte Zitat aus der Bergpredigt, "Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon", denn nie begreifen? Und dabei fordert die Bibel nicht die Armut, die Franz von Assisi sich selbst abverlangt hat, nur die Erkenntnis, das Geld, ausbeuterisch eingesetzt, zur dämonischen Macht wird. Vor 40 Jahren, als die Oberpfalz darbte, kam die geplante WAA den Kommunalpolitikern wie ein Wunder vor. "Ich erinnere nur an das Eisenwerk Maxhütte, es fehlten Arbeitsplätze", erinnert Hans Schuierer. In dieser Situation, so sagt er, "war ich erst begeistert von den versprochenen sauberen Arbeitsplätzen".

"Ein todsicheres Geschäft"

Erst als er, der gelernte Maurer, Baupläne mit 200 Meter hohen Kaminen sah, und zu hören bekam, dass damit die Radioaktivität besser verteilt werden solle, war ihm klar, dass die WAA vor allem eines war: ein "todsicheres Geschäft". Das Geld wäre in die Kassen der Energiekonzerne geflossen, die Heimat und die Gesundheit der Bürger in der Oberpfalz dagegen bedroht und ausgebeutet. Hans Schuierer erwies sich als harter Knochen, er weigerte sich, die von ihm geforderten baurechtlichen Genehmigungen für die WAA zu unterschreiben.

Bis heute steht die Kleinstadt Wackersdorf synonym für den erbitterten Kampf von Gegnern und Befürwortern der Atompolitik. Wie viele Schleifen die deutsche Energiepolitik bis zur Stilllegung des letzten Atomkraftwerks noch drehen wird, wagt wohl niemand vorherzusehen – doch ungeprüft geglaubt wird hier nur noch in der Andacht. Die Aussagen von Politikern und "Leuten im Anzug" werden kritisch hinterfragt.

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