Tourismus

Ausflügler-Ansturm: Darum sind Städter auf dem Land so wenig willkommen

8.5.2021, 05:54 Uhr
Zuletzt waren an schönen Wochenenden vielerorts die Straßenränder von Ausflüglern zugeparkt, wie hier im Kirschanbaugebiet von Pretzfeld.

© Andrea Schrottenloher Zuletzt waren an schönen Wochenenden vielerorts die Straßenränder von Ausflüglern zugeparkt, wie hier im Kirschanbaugebiet von Pretzfeld.

Herr Bätzing, an schönen Wochenenden fahren derzeit so viele Ausflügler aufs Land wie nie zuvor. An diesem Sonntag wird durch das schöne Wetter wieder ein gewaltiger Ansturm erwartet. Viele Einheimische auf dem Land können sich über die Besucher aber nicht freuen, beklagen sich über Müll, vollgeparkte Wiesen und Wildpinkler. Warum krachen Stadt und Land hier so stark aufeinander?

Werner Bätzing: Das ist ein alter Konflikt. Es ging los mit Goethes berühmtem "Osterspaziergang" in "Faust". Seitdem haben die Städter begonnen, das Land als Freizeitregion und Idylle wahrzunehmen. Die Bauern hingegen waren total verdutzt über die Ausflügler. Sie wären nie auf den Gedanken gekommen, am Sonntag auf Feldern und Fluren unterwegs zu sein – da hatten sie ja schon die ganze Woche gearbeitet.

Konnten die Bauern die Schönheit ihrer Heimat nicht erkennen oder war sie für die Landwirte einfach selbstverständlich?

Bätzing: Schönheit war für Bauern etwas ganz anderes als für Städter. Schön waren für sie die Teile der Landschaft, die gut nutzbar und ertragreich waren. Für die Städter hingegen war die ganze Landschaft ästhetisch schön. Das sind völlig unterschiedliche Wahrnehmungen, die sich bis heute beißen und bis heute Grundlage des Konfliktes sind – auch wenn man sich natürlich angenähert hat und die Dörfler gelernt haben, die Sichtweise der Städter zu übernehmen.

"Das Land ist nicht nur ein Abenteuerspielplatz"

Der Bamberger Werner Bätzing, emeritierter Professor für Kulturgeographie der Universität Erlangen-Nürnberg, hat sich als Alpenforscher und eifriger Erkunder des Stadt-Land-Verhältnisses einen Namen gemacht. In dem 2020 erschienen Buch „Das Landleben“ plädiert er für eine neue Sichtweise auf das Landleben.

Der Bamberger Werner Bätzing, emeritierter Professor für Kulturgeographie der Universität Erlangen-Nürnberg, hat sich als Alpenforscher und eifriger Erkunder des Stadt-Land-Verhältnisses einen Namen gemacht. In dem 2020 erschienen Buch „Das Landleben“ plädiert er für eine neue Sichtweise auf das Landleben. © U. Ertle

Wie könnte man die Ausflügler aus der Stadt mit den Einheimischen versöhnen, wie den Konflikt lösen?

Bätzing: Wenn die Städter schon rausfahren, sollten sie das Land nicht als Freizeitraum und Abenteuerspielplatz empfinden. Sie sollten lernen, wo ihre Lebensmittel herkommen und welche Probleme, aber auch welche Schönheiten sich dahinter verbergen. Dass sie sich eigentlich durch eine Produktionslandschaft bewegen.

Müssen die Städter dafür einfach mit offenen Augen durch die Landschaft laufen oder muss man sie gezielt darauf stoßen?

Bätzing: Man muss sie schon ziemlich darauf stoßen. Denn von sich aus sind die meisten Städter so naturfern, dass sie das selbst nicht wahrnehmen könnten.


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Wie kann man sie denn für die Besonderheiten des ländlichen Raumes begeistern?

Bätzing: Mit Studenten habe ich vor etlichen Jahren den Kulturweg Egloffstein und den Weg "Spurensuche Kunreuth" entwickelt. Mit solchen Angeboten werden den Besuchern die Augen geöffnet, sie können auf kurzweilige Weise erkennen, was in der Landschaft passiert. Zusätzlich könnten die Bauern, die als Direktvermarkter in der Stadt unterwegs sind, die Leute dazu animieren, am Wochenende zu ihnen rauszufahren und sich anzusehen, wie Lebensmittel produziert werden. Ein Ausflug wird auf diese Weise noch viel interessanter, man sieht und erlebt sehr viel mehr.

"Es braucht neue Hotels in der Fränkischen Schweiz"

Vor Jahren sahen sie schwarz für die Fränkische Schweiz als Lebens- und Wirtschaftsraum für die Menschen. Jetzt kann sie sich vor Ausflüglern kaum retten. Welche Chancen entstehen dadurch für die Region?

Bätzing: Jetzt gibt es die Möglichkeit, endlich einen tragfähigeren Tourismus aufzubauen und das Interesse der Städter wirtschaftlich zu nutzen. Es braucht neue Hotels, es gibt davon ja nur wenige in der Fränkischen Schweiz. Und für Ferienwohnungen und Urlaub auf dem Bauernhof wäre die Region perfekt. Bisher wird aber kaum die spezifische Natur, Geschichte und Kultur der Region ins Zentrum gestellt. Dabei muss man das unbedingt betonen – und nicht etwas anbieten, das man überall bekommen kann.

Was ist denn so speziell an der Fränkischen Schweiz?

Bätzing: Das Schichtstufenland mit seinen Kalkfelsen und Höhlen. Mit Tälern, die manchmal einen sehr eigentümlichen Verlauf nehmen. Die vielen Burgen, Brauereien, Streuobstwiesen, das Kirschanbaugebiet, das kleinräumige Nebeneinander von evangelischen und katholischen Gebieten und verschiedenen Landkreisen.


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Manche erhoffen sich ja durch die Corona-Pandemie und dem Trend zu Homeoffice und Videokonferenzen eine Stärkung des ländlichen Raumes. Teilen Sie diese Hoffnung?

Bätzing: Nein, überhaupt nicht. Dadurch werden höchstens die Speckgürtel und der suburbane Raum gestärkt und vergrößert. Der ländliche Raum profitiert bestenfalls nur dort, wo er sich in relativer Nähe zur Stadt befindet. Der abgelegenere ländliche Raum hat nichts von den aktuellen Entwicklungen.

"Wir brauchen einen Politik-Wechsel"

Wie weit entfernt sind wir von wirklich gleichwertigen Lebensverhältnissen?

Bätzing: Sehr weit – und wir entfernen uns immer weiter davon. In den 1960ern und 1970ern war das ein zentraler Begriff, und damals hat man damit auch noch den Zugang zu Arbeitsplätzen mitgemeint. Heute wird die Wirtschaft da fast komplett ausgeblendet. Es geht nur noch um Daseinsvorsorge, um staatliche Infrastruktur. Und der Staat selbst hat seit etwa 20 Jahren zum Abbau beigetragen, indem er nach neoliberalen Kriterien das Geld vor allem da ausgibt, wo es am effektivsten eingesetzt werden kann – also dort, wo am meisten Menschen leben.

Wie könnte man da gegensteuern?

Bätzing: Durch einen Politik-Wechsel und durch die Aufwertung von dezentralen Arbeitsplätzen, an denen regionale landwirtschaftliche oder handwerkliche Qualitätsprodukte für die Menschen in der Umgebung hergestellt werden. Der Staat ist dabei extrem zurückhaltend und fördert vor allem Unternehmen, die für den Weltmarkt produzieren.

"Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein", sagt ja der eingangs erwähnte Goethe im "Osterspaziergang" über das Landleben. Geht’s auf dem Land wirklich menschlicher zu?

Bätzing: Nein – aber es ist ein anderes Leben. Der Städter sucht sich aus einer sehr großen Zahl von Menschen diejenigen aus, die ihm am sympathischsten sind und hat fast nur mit diesen Kontakt. Auf dem Dorf gibt es viel weniger Menschen, man ist viel mehr aufeinander angewiesen. Da muss man sich auch mit dem Nachbarn verstehen, auch wenn er einem eigentlich nicht so sympathisch ist. Die Stadt ist sehr von Individualismus geprägt. Auf dem Land spielen Vereine und Gruppen eine viel größere Rolle. Gerade in den letzten 20 Jahren ist das ländliche Bewusstsein erstarkt, die Menschen leben gerne dort und sind auch wieder stolz darauf.

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