Bayerisches Infektionsschutzgesetz: Wie weit darf das Land gehen?

23.3.2020, 14:52 Uhr
Rettungswagen sind mit Spitzentechnik ausgestattet. Doch die Verbände fürchten, der Freistaat könnte über ein geplantes Gesetz auf Material und Technik zugreifen. Weil er im Krisenfall auch ihr Personal abziehen will, sehen sie die Versorgung in Gefahr.

© Foto: NEWS5 / Oßwald Rettungswagen sind mit Spitzentechnik ausgestattet. Doch die Verbände fürchten, der Freistaat könnte über ein geplantes Gesetz auf Material und Technik zugreifen. Weil er im Krisenfall auch ihr Personal abziehen will, sehen sie die Versorgung in Gefahr.

Das Schreiben lässt sich als Brandbrief verstehen. Was der Freistaat plane mit seinem bayerischen Infektionsschutzgesetz, könne die Versorgungssicherheit im Land gefährden, insbesondere für jene, die auf einen funktionierenden Rettungsdienst angewiesen sind – also faktisch alle Menschen, schreiben die Unterzeichner aus der Arbeitsgemeinschaft Bevölkerungsschutz.

Für den Fall eines so genannten Gesundheitsnotstandes soll das Gesetz dem Land und seinen Behörden weitreichende Rechte geben. So sieht es vor, dass sie "bei jedermann medizinisches pflegerisches oder sanitäres Material beschlagnahmen" können. Der Staat kann Betriebe anweisen, dass sie solches Material herstellen und an ihn verkaufen. Und er kann Rettungsdienste und Feuerwehren sowie die kassenärztliche Vereinigung demnach zwingen, dass sie jeden melden, der in ihren Reihen eine medizinische oder pflegerische Ausbildung durchlaufen hat. Im Ernstfall soll der Staat sich aus den Listen jene Leute heraussuchen, die er braucht.

Stärk: Gesetz zwar gut gemeint, im Detail jedoch gefährlich

Für Leonhard Stärk ist das Gesetz zwar gut gemeint, im Detail jedoch gefährlich. Der Landesgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes hat den Brief mit unterzeichnet; als Brandbrief will er ihn nicht verstanden wissen, eher als Diskussionsbeitrag. Doch das Szenario, das Stärk beschreibt, hat es in sich. Wenn wie bei der aktuellen Corona-Epidemie etwa Beatmungsgeräte knapp werden sollten, könne der Staat sie aus den Rettungswagen beschlagnahmen. Wenn er zudem die Mitarbeiter der Hilfsdienste zwangsrekrutieren könne, setze er deren Arbeitsfähigkeit auf Spiel. "Wir beim Roten Kreuz haben derzeit 180.000 Ehrenamtliche. Zieht uns der Staat auch nur einen Teil davon ab, können wir nicht mehr planen."

Leonhard Stärk unterstellt der Politik keine bösen Absichten. "Ich bin nicht auf Kampf ausgelegt", sagt er. "Aber wir wollen so ein Gesetz nicht. Es stärkt zwar die eine Front, schwächt aber dafür die andere." Allenfalls wenn das Land den Entwurf um Ausnahmen ergänze, die die Rettungsdienste und Feuerwehren schützen, könnte er damit leben.

CSU-Politiker Seidenath ist davon überzeugt

Bernhard Seidenath kann die Kritik nicht wirklich nachvollziehen. Es gehe beim Material nicht um die Dienste, sondern um Menschen, die das horteten, sagt der CSU-Politiker und Vorsitzende des Gesundheitsausschusses. Das Gremium berät heute über das Gesetz, bereits am Mittwoch soll der Landtag es beschließen. Danach kann die Staatsregierung den Gesundheitsnotstand ausrufen, für maximal ein Jahr. Über das Ende entscheidet der Landtag.

Seidenath steht hinter der Idee des Gesetzes. Niemand wolle einem Rettungsdienst etwas wegnehmen, sagt er. "Wenn aber der eine noch Vorräte für vier Wochen besitzt und der andere gar nichts mehr hat, dann müssen wir das umverteilen. Das halte ich für vernünftig." Dass der Staat etwa Beatmungsgeräte aus Rettungswagen konfiszieren könnte, sei "unrealistisch, wieso sollte so etwas passieren?" Das Gesetz, sagt der CSU-Politiker, "haben Leute gemacht, die alle guten Willens sind. Niemand will dem Roten Kreuz etwas reinwürgen. Diese Sorge ist in Wahrheit doch abstrus."


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Doch auch Seidenath sperrt sich nicht gegen Klarstellungen. Die ließen sich in der Begründung des Gesetzentwurfs unterbringen, sagt er, oder notfalls auch im Gesetz selbst. Dass das Gesetz als solches verfassunsgwidrig sei, wie die Rettungsdienste behaupten, bestreitet er ohnehin.

Gesundheitsnotstand auf unbestimmte Zeit ausrufen?

Die Regierungsfraktionen haben den Entwurf schon einmal überarbeitet, auf Initiative der FDP, wie deren Fraktionschef Martin Hagen sagt. Ursprünglich sollte der Ministerpräsident allein den Gesundheitsnotstand auf unbestimmte Zeit ausrufen und ebenfalls allein über sein Ende bestimmen können. Jetzt ist er zeitlich begrenzt und der Landtag entscheidet mit.

"Grundsätzlich", sagt Hagen, enthalte der Entwurf tatsächlich "sehr drastische Maßnahmen". Doch die Fraktionen im Landtag seien dazu im Grundsatz bereit, weil sie diese Instrumente als notwendig betrachten im Kampf gegen eine Pandemie.

Trotzdem beobachtet Hagen mit Sorge, wie sich die Diskussion entwickelt. Dass etwa Gesundheitsminister Jens Spahn nun im Bundesinfektionsschutzgesetz auch die Möglichkeit eingeräumt haben will, dass Behörden die Handydaten Infizierter abgreifen und darüber ihre Kontaktpersonen aufspüren sollen, lehnt Hagen ab.

Der Liberale fürchtet, dass Politiker vor allem aus dem konservativen Lager die Gelegenheit nutzen und im Windschatten der Krise Dinge durchsetzen könnten, mit denen sie bisher gescheitert sind. "Wir dürfen nicht leichtfertig die Bürgerrechte über Bord werfen", warnt Martin Hagen. Er räumt allerdings auch ein, dass die Lage in anderen Staaten weit dramatischer ist, etwa in Ungarn, wo sich Ministerpräsident Viktor Orban die absolute Macht per Dekret sichern will.


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