Corona-Ausnahmezustand ist gefährlich für das Demokratie-Gefühl im Land

30.10.2020, 16:40 Uhr
In den Intensivstationen wird derzeit um immer mehr Menschenleben von Covid-19-Erkrankten gekämpft.

© Dalibor Glück, dpa In den Intensivstationen wird derzeit um immer mehr Menschenleben von Covid-19-Erkrankten gekämpft.

Die Lage ist juristisch vertrackt und politisch brisant. Selbst wenn Markus Söder wollte, er kann den Landtag nicht abstimmen lassen über seine Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Das Infektionsschutzgesetz und der daran geknüpfte Bundestagsbeschluss einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ hebeln die Parlamente aus. Denn diese Kombination schreibt die Entscheidungsbefugnis ausschließlich der Bundes- und den Landesregierungen zu.


Söder will keine privaten Anschwärz-Aktionen


Nicht nur Söder sträubt sich gegen eine Änderung, auch die Bundesregierung tut es. Berlin müsste nur das Parlament die epidemische Lage aufheben lassen, schon könnte der Bundestag wieder mitentscheiden. Eine Mehrheit dafür findet sich nicht, und angesichts der steigenden Infektionszahlen bleibt sie weiter unwahrscheinlich.

Effektiverer Kampf gegen das Virus

Der Gedanke dahinter ist richtig. Die Regierungen können schneller und der Lage angemessen reagieren. Müssten sie jedes Mal den wochenlangen Weg durch die Parlamente antreten, sie könnten kaum effektiv gegen das Virus vorgehen. Deshalb lehnt auch Söder eine stärkere Beteiligung der Parlamente ab.

Er weiß freilich, wie gefährlich das für das Demokratie-Gefühl wird, je länger dieser Ausnahmezustand andauert. Deshalb sucht Söder weniger aus Geltungsdrang die Öffentlichkeit – sein Ansehen ist ohnehin jenseits seiner kühnsten Träume. Er sucht sie, weil er den Menschen erklären will, warum er was für richtig hält.

Das ist gut, denn Söder sorgt damit für Transparenz, zumal er seine Tonlage verändert hat, weg vom Panik- hin zum Erklärmodus. Und es ist schlecht, weil er sich zwar erklärt, ihn aber niemand hinterfragen kann. Der Opposition bleiben nur Presseerklärungen und gelegentlich eine Generalaussprache im Parlament.

Richter als neue Opposition

Söder, auch das muss man ihm anrechnen, geht der Debatte nicht aus dem Weg, im Gegenteil. Dennoch führt die gegenwärtige Konstellation zu einer kuriosen Verschiebung der Machtverhältnisse. Nicht mehr der Land- oder der Bundestag entscheiden, ob die Maßnahmen richtig sind, sondern die Richter an den Verwaltungs- und Verfassungsgerichten. Sie bleiben für die Betroffenen die einzige Institution, die sie anrufen können.

Zwar urteilen die Richter nur nach juristischen Aspekten, nicht nach medizinischen oder politischen. Doch das Grundgesetz erweist sich hier als wichtige Messlatte und Korrektiv.

Söder betont, dass er bisher kaum einen Prozess verloren und die Richter seinen Kurs im Kern bestätigt haben. Tatsächlich allerdings hat er, etwa beim umstrittenen Beherbergungsverbot, mehrfach vorab reagiert und die Linie geändert. Es zeigt, dass Kontrolle vorhanden ist und dass sie wirkt.


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Das nicht nur gefühlte Demokratiedefizit freilich bleibt. Es ist der Preis, den das Parlament, das Land für den Kampf gegen die Pandemie zahlen muss. Wenn er Leben rettet, ist er nicht zu hoch.

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