Diven, Locken und Julio Iglesias: Eine Hommage an den Friseur

27.2.2021, 11:52 Uhr
Diven, Locken und Julio Iglesias: Eine Hommage an den Friseur

© Colourbox.de

Friseure sind für mich nicht irgendwelche Haarverschönerungsanstalten. Sie sind für mich Heimat. Die Mischung aus Haarspray und Fönluft lässt mich augenblicklich sieben Jahre alt sein. Denn ich bin in einem Friseurladen aufgewachsen. Im Salon Röckl in der Marienstraße in Nürnberg. Genau gegenüber meines heutigen Arbeitsplatztes. Ich habe es schon weit geschafft in meinem Leben: hundert Meter über die Straße. Länger war das Fönkabel, die Nabelschnur zum Salon, anscheinend nicht. Der Salon meiner Eltern war eine Welt für sich. Ein eigenes Universum mit festen Konstanten: den Kundinnen. Überwiegend mittelalte bis älteren Damen, okay aus heutiger Sicht waren sie eventuell gar nicht sooo alt.

Jede Woche zum Frisieren

Sie gingen nicht mal spontan zum Friseur, sondern hatten eine festen Turnus. Spätestens alle zwei Wochen erschienen sie. Manche kamen sogar jede Woche zum, Achtung, Frisieren. Meistens auch noch an festen Wochentagen. Wäre zum Beispiel Frau Horten (alle Namen von der Redaktion geändert) donnerstags einmal nicht erschienen, wir hätten sofort eine Fahndung in Auftrag gegeben. Es musste ihr etwas zugestoßen sein. Denn freiwillig hätte sie nie auf ihren Friseurbesuch verzichtet.


Ein bisschen Würde zurück: Eine satirische Betrachtung


Noch heute sehe ich die Kundinnen glasklar vor mir – bis zum Lockenwickler auf dem Kopf. Denn sie waren Originale mit bestimmten Vorlieben und Ritualen. Die eine wollte nur zwei bestimmte Zeitschriften gereicht bekommen, eine bitte nur über Kopf gewaschen werden. Eine wollte nur von meinem Vater bedient werden, eine andere nur von meiner Mutter. Frau Horten hatte keinen Spleen, aber dafür einen Ehemann mit Knopf-Phobie. Auch Druckknöpfe gingen nicht. Frisierumhänge damit mussten von ihm ferngehalten werden, um Gotteswillen!

Blaues Haar war en vogue

Frau Oley fand ich faszinierend, denn sie hatte blaues Haar. Nicht weil sie Punkerin war, sondern weil bläuliches Grau bei einigen älteren Damen damals hip war. Frau Thurmann wiederum kam bereits mit einer perfekten Frisur. Die sie dann abnahm und auf einen Perückenständer zwischenlagerte. Ihr darunter liegendes und durchaus vorhandenes Haar, das ein wenig spärlich war, wurde geschnitten, gewellt und geföhnt. Sehr zufrieden verließ Frau Thurmann danach den Salon – mit Perücke auf dem Kopf. Die Sinnfrage hat damals niemand gestellt und ich wunderte mich nur insgeheim. Erwachse taten einfach manchmal seltsame Sachen.

Ich tat auch viel: Lockenwickler anreichen, Lockenwickler aus fertig gebackenen Haaren drehen. Das Gefühl, wenn die tadellos geformte Locke quasi vom Wickler sprang, verschaffte mir ein wohliges Gefühl. Ich kehrte Haare zusammen, faltete Handtücher, gab den Kundinnen brav die Hand und lauschte, an die Lautsprecherbox gelehnt, der Stimme von Julio Iglesias, der dort in Endlosschleife lief.

Das Wort Umstyling gab es damals noch nicht. Aber ich erkannte: Die Kundinnen verließen den Salon als andere Menschen. Als komplettere Menschen. Seit Markus Söder weiß ich jetzt: Sie hatten ihre Würde auf dem Kopf zurück. Mit verdrückten Fransen, leicht verschossen (wenn sie zu lange gewartet hatten) betraten sie den Salon wie Aschenputtel. Um ihm als strahlende Gottheiten zu entschweben. Die Diva in ihnen war wieder auffrisiert worden.

Alle schienen glücklich beim Gehen, auch wenn mein Vater mal wieder die Preise erhöht hatte. Nur eine einzige machte immer Theater und musste auf den Friseurstuhl werden. Weil sie keinen Zentimeter ihrer spärlichen Löckchen abgeben wollte: Ich. Mir wäre es lieber gewesen, meine Eltern wären nicht so nah an den Scheren gewesen. Dann hätte es vielleicht doch noch geklappt mit der wallenden Mähne. Aber so hatte ich regelmäßig – Scherereien.