Infekte wie im Winter

Erkältungswelle bei Kindern: Das sagen die Ärzte

28.7.2021, 05:58 Uhr
Ein Bild, das man normalerweise eher aus dem Winter kennt: Eine Welle von Erkältungen erfasst derzeit viele Kinder.

© colourbox.de Ein Bild, das man normalerweise eher aus dem Winter kennt: Eine Welle von Erkältungen erfasst derzeit viele Kinder.

Dank Corona kaum mehr Grippe und andere Infekte - so lautete lange die positive Botschaft. Dank Abstand, Hygiene und Masken litten sehr viel weniger Menschen unter Husten und Schnupfen als üblich. Doch das ändert sich nun: Seit zwei bis drei Wochen geht eine Welle von Erkältungskrankheiten durch die Praxen der Kinder- und Jugendärzte.

"Wir holen die Erkältungswelle aus dem Winter nach", erklärt Dominik Ewald, Vorsitzender des Bayerischen Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. Und das mit Wucht: "In einem normalen Winter haben wir pro Tag etwa 60 bis 70, in Ausnahmefällen auch mehr Kinder mit Infekt in der Praxis. Neulich hatte ich an einem Sonntag im Bereitschaftsdienst allein 90." Vorwiegend seien bei ihm Patienten zwischen eineinhalb und vier Jahren, die sich in der Kita oder dem Kindergarten infiziert hätten.

"Aktuell haben wir Erkrankungen bei Kindern in der Art und Häufigkeit, wie wir sie sonst im März haben", berichtet auch Kinderarzt Wolfgang Landendörfer. Durch den Lockdown hätten sich diese um etwa drei Monate nach hinten verschoben. Im vergangenen Jahr sei es genauso gewesen: "So wie die Kontaktbeschränkungen gelockert wurden, wurden die Infekte nachgeholt."

Aktuell bekäme das Thema allerdings "eine ganz andere Aufmerksamkeit auch von den Eltern", sagt der Nürnberger Kinderarzt, die beispielsweise ein Kind, das drei Tage fiebere, in einem normalen Winter nicht bekäme. Dies läge einerseits daran, dass eine Erkältungswelle im Sommer extrem ungewöhnlich sei. Andererseits stecke aber auch die Angst vor Corona dahinter.

Tatsächlich scheint Corona in vielen Kinderarztpraxen aber derzeit das kleinere Problem zu sein. Standardmäßig werden alle Kinder mit Husten, Schnupfen und ähnlichen Symptomen getestet, aber: "Wir hatten in unserer Praxis in Erlangen in den vergangenen Wochen keinen einzigen Corona-Fall", sagt Kinderärztin Jasmin Pletl-Maar - trotz hunderter Abstriche.

Infektionswelle seit den Lockerungen

Auch sie sieht den Grund für die Infektionswelle in den Lockerungen: "Die Kinder waren monatelang eingesperrt, nun gehen sie wieder in die Einrichtungen und fangen sich dort alles ein." Gerade in der Kita sei es nicht wirklich möglich, Abstand zu halten, die Kinder würden sich dort eben anfassen und gegenseitig infizieren.

Auch unter älteren Kindern, beispielsweise Grundschülern, gibt es aber derzeit vermehrt Infekte, in der Mögeldorfer Praxis von Wolfgang Landendörfer sind die Patienten bis zu 15 Jahre alt - und das trotz Hygienekonzept und Maskenpflicht in den Schulen. "Das kann ja nicht funktionieren, einfach weil diese Hygienekonzepte nur in der von den Lehrern beobachteten Zeit eingehalten werden", meint Landendörfer. Die Kinder würden sich vor oder nach der Schule treffen, umarmen, vermisste soziale Kontakte nachholen, und vermutlich dabei anstecken: "Die Schulen bemühen sich, aber sie können ja nicht das ganze soziale Leben der Kinder regeln."

Erkrankungswelle: Schnupfen, Magen-Darm, Scharlach

Die Erkrankungswelle beschränkt sich dabei nicht ausschließlich auf Schnupfen. "Es ist eine bunte Mischung aus Erkältungskrankheiten und Magen-Darm-Infektionen", weiß Landendörfer. Dominik Ewald berichtet zudem, er habe in den vergangenen drei Wochen "mehr Scharlach-Fälle gehabt als sonst im ganzen Jahr."

Sorge bereitet den Medizinern das RS-Virus, das bei Säuglingen starke Beschwerden bis zur Atemnot auslösen kann. "Wir wissen von Australien, dass sie dort im Sommer eine riesige Welle an RS-Infekten hatten", berichtet die Erlanger Kinderärztin Jasmin Pletl-Maar. Eine Kollegin habe hier in der Region nun den ersten Fall gehabt. Auch Landendörfer weiß, dass in den Kinderkliniken bereits etliche Fälle behandelt würden.

Bei den Erkältungen sieht dagegen keiner der Ärzte einen Grund, besondere Maßnahmen zu treffen. In den Sommerferien, wenn die Einrichtungen schließen und viele Familien verreisen, so die allgemeine Annahme, würde die Welle ohnehin rasch nachlassen.

Vor allem aber seien derartige 'Trainings-Infekte' wichtig für die Kinder. "Irgendwann muss das Immunsystem lernen, mit Infekten umzugehen", betont Pletl-Maar. "Wenn wir jetzt alle Kinder unter eine Glaskugel setzen, von allen Erregern abschirmen, tun wir ihnen damit nichts Gutes."

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