Clubfans in Erlangen: Ein Nachmittag zum Heulen

28.6.2020, 19:12 Uhr
Clubfans in Erlangen: Ein Nachmittag zum Heulen

© Foto: Harald Sippel

64 Minuten lang scheint der Bart von Dominik gerettet. Ganz hinten ins Eck hat sich der 27-Jährige mit seinem Kumpel Benni verzogen, sie sitzen an einem runden Tisch, vor sich die Handys mit den Live-Spielständen und zwei Bier, an den Gläsern perlt das Kondenswasser herab. Wobei: Dominik sitzt nach 67 Minuten nicht mehr, er steht jetzt immer wieder. Es ist der Moment des Ausgleichs, der den 1. FC Nürnberg, seinen Herzensverein, in die Abstiegsrelegation der 2. Bundesliga schickt. Es ist der Augenblick, an dem seine Freundin zu Hause wieder um den Vollbart ihres Freundes bangen muss, den er mit einem Arbeitskollegen auf den Klassenerhalt verwettet hat. Es ist der Moment, an dem all die Hoffnung, all die Träume auf ein versöhnliches Saisonende mit dem Klassenerhalt nach einer verkorksten, peinlichen Saison zerplatzen wie ein zu prall gefüllter Luftballon. Da sitzt Dominik plötzlich ganz still.

Die Luft ist stickig im "Dartmoor Inn" an diesem Sonntagnachmittag. Über drei Monitore läuft dieser letzte Spieltag in der 2. Fußball-Bundesliga. Vorn, da schauen sie die Konferenz – einen Rundum-Spaziergang durch alle Stadien. Vorn, da sitzt der Typ vom Fürth-Fanclub, da sitzt der Mann im blau-weißen "Run DSC"- T-Shirt seiner Arminia und der stämmige Student im Eintracht-Trikot, der eisgekühlten Cider trinkt und Pommes isst, die unter zerlaufenem Käse stecken. Vorn, da ist der letzte Spieltag der emotionslose Schlusspunkt einer bestenfalls durch Corona grotesken Saison. Hinten aber, wo sie unentwegt in den kleinen Garten gehen, um während des Rauchens durch die Scheibe weiter zusehen zu können, wo die Luft steht und man die Nervosität schon vor dem Anpfiff spüren kann, da geht es für den Club und für Dominik mindestens um Alles: gegen den Abstieg, gegen eine nicht nur sportliche Katastrophe.

"Als wir zu sechs waren, war es lauter"

Aber die Emotionen bleiben auch hier hinten lange unterdrückt. "Als wir zu sechst waren, war es lauter", raunt ein Heranwachsender im Clubtrikot, als alles beginnt, doch noch den Bach runter zu gehen. Doch hier hinten, wo sich alle irgendwie kennen, wo das Bier fließt, Hotdogs und Wedges gemampft werden und manche sogar rot-schwarzen Mundschutz tragen, hat dieser junge Kerl nichts verstanden: Die Anspannung brüllt durch diese Stille, sie entlädt sich erst zaghaft, als Kiel zum Ausgleich trifft.

"Wenn der Club gewinnt, wird deutlich mehr getrunken", sagt der Chef.

"Wenn der Club gewinnt, wird deutlich mehr getrunken", sagt der Chef. © Foto: Harald Sippel

Nicht nur Dominik hat das alles kommen sehen. "Beim Club", hat er schon in der Halbzeit gewusst, als alles noch perfekt schien, "darf man sich nie zu früh freuen." Nein, mit dem Club erlebt man Dinge, auf die man bis gestern noch kein Barthaar verwettet hätte: Nach drei Minuten bejubelt Dominik allen Ernstes ein Fürther Tor. "Zum ersten Mal in meiem Leben", sagt er. Doch auch der Erzrivale kann an diesem Spieltag nicht helfen: Das Kleeblatt verliert 1:2, der Club stürzt durch das glückliche 1:1 in Kiel in die Relegation. Noch zwei Spiele Zittern bedeutet das für Dominik und Benni.

"Wenn der Club gewinnt, wird mehr getrunken"

Vorn, am Tresen, steht Olaf Nies. Er ist Unternehmer und weiß: "Wenn der Club gewinnt, wird deutlich mehr getrunken." Aber er ist auch Fußballfan. So sehr, so innig, dass er sich den ganzen Pay-TV-Dschungel gönnt – über 800 Euro im Monat teuer. Nies wird aber auch im Taumel der Gefühle nie müde, auf Abstände und den Mundschutz zu achten, er trinkt im größten Stress mit Gästen kleine Schnapsrunden und dribbelt wie Robin Hack im Nürnberger Mittelfeld das frische Bier durch die Reihen zu den Tischen. Auch für Nies gibt es nun zwei weitere Spiele – das einzig Positive vielleicht in diesen wirren Zeiten.

"Beim Club darfst du dich niemals zu früh freuen."
  

"Beim Club darfst du dich niemals zu früh freuen."   © Foto: Harald Sippel

"Es macht einfach mehr Spaß, in der Kneipe zu schauen", sagt Dominik. Man ist nicht allein mit seiner Hoffnung, mit seinem Bangen. Mit seiner Enttäuschung. Die halbe Nacht, erzählt er, hat er wach gelegen wegen seinem Club. An den Bart hat er dabei gar nicht mal gedacht.

Das Dartmoor Inn leert sich tatsächlich erstaunlich schnell. Vereinzelt sitzen manche noch mit hängenden Köpfen an den letzten Schlucken Bier. Sie werden wieder hier sein, am siebten Juli. Und wer weiß? Vielleicht darf Olaf Nies sich dann auch auf großen Umsatz freuen.

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