Emotionales Wortgefecht mit Minister: Beifall für Erlanger Schüler nach TV-Auftritt

5.2.2021, 15:00 Uhr
Emotionales Wortgefecht mit Minister: Beifall für Erlanger Schüler nach TV-Auftritt

Frust und Proteste bei den Schülern, verärgerte Eltern, Lehrer unter enormem Arbeitsdruck. Die Coronapandemie trifft auch eine der wichtigsten Lebensbereiche bis ins Mark: die Bildung. Zu diesem Thema hatte der Bayerische Rundfunk am Mittwochabend Fachleute zu einem Polittalk in die "Münchner Runde" geladen. Neben Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) saßen im Fernsehstudio Katja Caspari als Mutter zweier Schulkinder, Katharina Schulze (Grüne) und Haram Dar, Schüler der Erlanger Eichendorffschule.

Um es vorweg zu nehmen: In den knapp 60 Minuten drehte sich vieles im Kreis. Piazolo war sichtlich bemüht, den Eindruck zu streuen, all die Aufregung sei unbegründet, weil das Kultusministerium die Lage überwiegend sehr, sehr gut im Griff habe.

Das traf selbstredend auf Widerstand von allen Seiten. Auch auf den des 17 Jahre alten Haram Dar, der selbstbewusst und redegewandt mutige Angriffe gegen den Minister fuhr. "Junge, du bist brilliant!", kommentierten einige der 400.000 Live-Zuschauer auf Twitter: "Starker Auftritt!"

Lob nicht nur auf Twitter

Zwar ist stark anzunehmen, dass die Sendung keinerlei Änderungen der Schulsituation bringen wird, doch sie besaß trotzdem einen bemerkenswerten Höhepunkt, als Haram Dar Piazolo zu der Zusage bewegte, für jeden Schüler, der in Bayern ein digitales Endgerät für den Distanzunterricht benötige, sei auch eines verfügbar.

"Schreiben Sie mir Namen und Schule und derjenige bekommt eines", versprach Piazolo. Um 21.15 Uhr endete die Sendung, um 21.21 Uhr erhielt Haram Dar eine Mail mit der konkreten Anfrage nach benötigten iPads aus dem Büro des Ministers. "Wenn ich dafür sorgen kann, dass auch nur ein Schüler, der bisher kein Gerät hatte, nun eines bekommt, war mein Besuch nicht umsonst", sagt Haram Dar am nächsten Tag im Gespräch mit dieser Zeitung. "Ich habe mit unserem Rektor besprochen, dass wir nun alle Erlanger Schulen anschreiben werden mit der Bitte um Information, wer konkret Geräte braucht."

Viel Zuspruch

Motiviert vom großen Zuspruch seines Fernsehauftritts will er weiter für die Lösungen der Probleme seiner Mitschülerinnen und Mitschüler kämpfen – der Mittel- und Realschüler wohlgemerkt. "Wir haben kaum Lobby, die öffentliche Diskussion dreht sich meist nur um die Gymnasien." Da fühlte es sich noch besser an, als ihn nach dem Talk Nachrichten auch von unpolitischen Mitschülern erreichten: "Haram, danke für all das, was du gesagt hast."

Es ging Dar nämlich nicht nur um iPads und Digitalisierung – Haram Dar möchte so schnell wie möglich wieder zurück in den Präsenzunterricht. "Viele meiner Mitschüler sind nicht in der privilegierten Situation, dass Eltern Lerninhalt vermitteln können oder wollen. Die Kinder bleiben damit auf der Strecke."

"Schule als geschützter Raum"

Genau wie die so wichtigen sozialen Kontakte, die oft ganz nebenbei helfen, Probleme von Gleichaltrigen zu lösen. "Die Schule als geschützter Raum fehlt", sagt Dar. Die Schule, die auch ihm so viel geben konnte, als er mit seinen Eltern aus Pakistan nach Erlangen kam, der Sprache kaum mächtig, gefangen in einer Blase ohne Kontakte, ohne Freunde.


Bildungsexperte: "Wichtig ist, dass Schulen geöffnet bleiben"


Eine Lebensgeschichte, die derzeit viele geflüchtete Kinder erleben. "Viele sind traumatisiert, viele isoliert." Etwaige Verhaltensauffälligkeiten sind ein Hilfeschrei, sagt Haram Dar. Hier müsse Schule ansetzen – "ob Distanz- oder Präsenzunterricht: Es geht immer nur um Leistung, nur um Noten. Das höchste Gut der Schule, die Pädagogik, bleibt nicht nur im Digitalunterricht auf der Strecke."

Individuelle Förderung

Individuelle Entwicklung, teils traumatisierte Kinder, benötigen individuelle Förderung. "Da geht es um so viel mehr, als um Noten in der Unter- und Mittelstufe." Daher kämpft Haram Dar für die schnelle Rückkehr zum Präsenzunterricht – sobald es gesundheitlich vertretbar ist. Von homogenen Entscheidungen etwa wie zum Wechselunterricht hält er nichts: "15 Schüler im Raum, 15 zusätzlich digital – das ist weder für den Lehrer leistbar, noch infrastrukturell an vielen Orten umzusetzen." Die Kompetenz müsse daher, so Dar, vom Kultusministerium an die Kommunen abgegeben werden, Gesundheitsämter müssten mit Bürgermeistern und Rektoren entscheiden dürfen, welche Art von Unterricht vor Ort möglich ist.

Zu wenig digitale Endgeräte werden möglicherweise in Erlangen bald kein Argument mehr sein. In den kommenden Tagen wird Michael Piazolo eine Antwortmail von Haram Dar erhalten.

Die Sendung ist in der Mediathek des BR und der ARD hier abrufbar.

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