Erlanger "Seekuh" starb einen traurigen Tod

1.5.2021, 16:00 Uhr
Erlanger

© Archiv Günther Klebes

Wie die Bahn zu ihrem Namen "Seku" oder auch "Seekuh" kam, kann man im Almanach der Deutschen Eisenbahnen von 1963 nachlesen: "Danach eröffnete ein tüchtiger Wirt beim Bahnhof Erlangen-Zollhaus, wo die Mehrzahl der Reisenden einst die in die Stadt herein fahrenden Züge verließ oder aber auf die Abendzüge zur Heimreise wartete, ein Gasthaus."Restauration zur Sekundärbahn" sollte es benannt werden. Der Maler, der damals kunstvoll die Buchstaben auf das Wirtshausschild pinselte, hatte ein ausgeprägtes Zeitgefühl.

Merkwürdiges Bruchstück

Pünktlich mit dem Glockenschlag legte er am Feierabend den Pinsel zur Seite. Die Aufschrift war bis dahin nur bis ‚Restauration zur Seku‘ gediehen. Und weil es gerade Wochenende war, konnten sich Spaziergänger am Sonntag über dieses merkwürdige Bruchstück lustig machen, das in breitem Mittelfränkisch "Seekuh" gelesen wird. Die gern zu Späßen aufgelegten Erlanger Studenten sorgten schnell für die Ausdeutung und Weiterverbreitung.

Zielscheiben beißenden Spotts

Die Umwegstrecken der Bahn und die Ausstattung der Wagen waren Zielscheiben beißenden Spotts. So bildete sich ein Strauß von Anekdoten um die "Seekuh". Es wird zum Beispiel erzählt, dass am Buckenhofer Berg der – wie die Bahn auch genannt wurde – "Mockel", "Pockel", "Gräfenberger Schubkarrenrädla", "Orient-Express" oder "Fliegender Hamburger" oft stehen blieb. Die hilfsbereiten Passagiere, die dann schieben wollten, wurden vom Zugführer mit den Worten "Das ist Beleidigung von Staatseigentum!" in die Wagen zurückgetrieben.

Einmal wollte die Ehefrau eines Gemeinderates aus Neunkirchen mit der "Seekuh" fahren, hatte aber die Geldbörse zu Hause vergessen, worauf der Zugführer so lange warten ließ, bis die Dame ihr Portemonnaie geholt hatte.

Für viele Familien das tägliche Brot

Die heute entweder mit Gras überwachsenen oder zum Teil ihrer Gleise beraubten Trassen waren einst für viele Familien das tägliche Brot und für zahlreiche Eisenbahner der Lebensinhalt. Der anfangs verpönte Einzug der Dampflokomotive in die Dörfer des Schwabachgrundes vor 135 Jahren war mehr als eine Übergangserscheinung. Auf dem Reststück der Strecke beweist heute die Gräfenbergbahn, dass Schienenverkehr durchaus zeitgemäß ist.

Die Vorgeschichte

Wie war es damals im Schwabachgrund? Die Postkutsche rumpelte durch die Dörfer und brachte eine Handvoll Passagiere und ein Häufchen Fracht mit aus Erlangen. Da kamen einige Männer auf die Idee, auch für den Schwabachgrund eine dieser gefährlichen, rauchenden Dampfmaschinen haben zu müssen.

Bitte um Anschluss

1873 richtete der Magistrat der Stadt Gräfenberg an die Königlich Bayerische Staatsregierung die Bitte um Anschluss an das bestehende Eisenbahnnetz. Es ging darum, in die Linienführung der Bahn Nürnberg – Bayreuth einbezogen zu werden. Dem Magistrat wurde vorgerechnet, dass er 1,34 Millionen Mark hätte aufbringen müssen. Diesem Argument konnten sich die Gräfenberger nicht verschließen.

Chance für "Vizinalbahn"

Da hatten sie eine neue Idee: Der Bau einer "Vizinalbahn" (Sekundärbahn) nach Lauf oder durch das Schwabachtal nach Erlangen erschien zweckmäßiger. Neuen Auftrieb erhielt die Angelegenheit durch das bayerische Gesetz vom 28. April 1882: "Die Belohnung der bestehenden Vizinalbahnen und den Bau von Sekundärbahnen betreffend". "Bahnen von lokaler Bedeutung können nur dann durch den Staat zur Ausführung kommen, wenn die Interessenten mindestens den für den Bau der Bahn und dessen Zubehör nötigen Grund und Boden kostenlos zur Verfügung stellen. Unter der Voraussetzung der Übernahme entsprechender finanzieller Lasten (...) sind Zuschüsse des Staates zulässig".

Unterstützung vom Erlanger Bürgermeister

1883 nahm der Erlanger Bürgermeister Johann Georg Ritter von Schuh zum Projekt einer Bahn von Erlangen nach Eschenau und darüber hinaus Stellung: "Es ist eine Sekundärbahn nötig, welche für den großen Weltverkehr keine weitere Bedeutung beansprucht, zunächst ein lokales Bedürfnis befriedigen soll". In der Denkschrift taucht das Wort "Straßenbahn" mehrmals auf. Der Verfasser gibt der Dampfeisenbahn gegenüber einer elektrischen oder von Pferden gezogenen Bahn den Vorzug.

Todesurteil inbegriffen

Hinsichtlich der Geschwindigkeit einer solchen "Straßenbahn" gibt sich der Bürgermeister keinen falschen Hoffnungen hin. Er verlangt sogar, dass die Eisenbahn an jeder Stelle so rasch wie ein Pferdefuhrwerk angehalten werden kann. Dieser damals vernünftige Vorschlag Georg von Schuhs beinhaltete das spätere Todesurteil.

Erster Probezug 1886

Am 8. November 1886 fuhr der erste Probezug. Am 17. November fanden die zweite Probefahrt und die Eröffnung der Bahnlinie statt. Durch die geschmückten Dörfer fuhren der Leiter des bayerischen Eisenbahnwesens, Gerneraldirektor Karl Schnorr von Carolsfeld, und die Spitzen der Stadt sowie der Universität Erlangen. Hochrufe und Böllerschüsse begleiteten die Abfahrt des Zuges. In Gräfenberg begaben sich die Gäste zum Mittagsmahl. Aus der Dunkelheit hallten nachts noch Hurra- und Hochrufe.

22 Bedienstete, drei Lokomotiven

Die Freigabe der Sekundärbahn Erlangen – Eschenau – Gräfenberg folgte am 22. November 1886. Die Baukosten betrugen 1 284 099,87 Mark. Das Personal umfasste 22 Bedienstete. Anfangs fuhren drei Lokomotiven namens "Forth", "Marxgrün" und "Köditz". Es verkehrten täglich vier Lokalbahnzüge. Die Fahrzeit betrug im Schnitt 140 Minuten. Heute ist man mit Bus und Gräfenbergbahn rund 80 Minuten kürzer unterwegs. 50 Jahre absolvierte die Nebenbahn den Verkehr zwischen Erlangen und den Gemeinden des Schwabachgrundes. Das Betriebsergebnis ergab 1891 einen Überschuss von 33 308 Mark. Die Bahnlinie Nürnberg – Gräfenberg kam 1908 doch noch zustande. Die Lokalbahnzüge von Erlangen verkehrten nur noch bis Eschenau, wo Reisende nach Forth und Gräfenberg umsteigen mussten.

Rentabilitätsrechnungen erzwangen 1932 die teilweise Umstellung auf Triebwagen. Damit fuhren ab 1. April 1932 wieder durchgehende Züge von Erlangen nach Gräfenberg.

1961: Letzte Fahrt ab Eschenau

Trotzdem wurde die Bahn unrentabel: Ein Gerichtsurteil zwang sie nach einem Zusammenstoß mit einem Straßenfahrzeug, sich den Bedingungen des Straßenverkehrs zu fügen, an dem sie teilnahm. An jeder vorfahrtsberechtigten Straßenkreuzung musste sie anhalten. Dadurch sank ihre Geschwindigkeit von 20 auf 15 Stundenkilometer. Wo die Festigkeit des Oberbaues durch jahrzehntelange Beanspruchung nachließ, fuhr sie noch langsamer.

StUB als späte Seku-Erbin

Erlanger

© Archiv Günther Klebes

Dadurch war die "Seku" der Konkurrenz des Autoverkehrs nicht mehr gewachsen. Am 1. Mai 1961 wurde der Abschnitt Neunkirchen – Eschenau stillgelegt. Knapp zwei Jahre später folgte der letzte Personenzug Erlangen – Neunkirchen. Der Güterzugverkehr hielt sich noch bis zum 31. Dezember 1963. 2030 könnte die Stadt-Umlandbahn das späte Erbe der "Seku" antreten.

Mitte des Jahres erscheint ein neues Klebes-Buch zum Thema: "Lokalbahn Erlangen - Eschenau - Gräfenberg".

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