Ungewöhnlicher Fall

Skurriler Prozess: Sado-Maso-Spielchen in Erlanger Klinik

4.6.2021, 05:55 Uhr

Er soll, so die Anklageschrift, als Patient der Forensischen Abteilung des Klinikums am Europakanal eine Schwesternschülerin im August 2020 zu sexuellen Handlungen genötigt haben. Er soll ihr in einer nicht einsehbaren Ecke des Klinikgrundstückes den Hals zugedrückt, sie mit dem Ledergürtel gewürgt haben. Der Angeklagte soll die Schwesterschülerin auch mit der flachen Hand geschlagen und ihr in den Mund gespuckt haben. Der ledige Arbeitslose habe der Schwesternschülerin auch in die Hose und an die Brust gegriffen.

Ja, das habe er auch, gestand der Angeklagte, der mit der Polizei vorgeführt wurde; mit Bauchgurt und Handschellen, die bei Sitzungsbeginn abgenommen wurden. Er habe, so seine ruhige und fast schon gelassene, gut einstündige Einlassung, die Schwesternschülerin kurz vorher kennen gelernt; und da die damals 17-Jährige das Gelände am Klinikum noch nicht richtig kannte, habe er ihr dies gezeigt.

Schon zu diesem Zeitpunkt sei dem Angeklagten wegen deren Vorstellungen in sexueller Hinsicht schaurig geworden. Sie habe erzählt, dass sie sich für Kannibalen-Treffen interessiere, bei denen es blutig zugehe. Dass ihr "Fesselspielchen" gefallen würden. "Und sie wusste, dass ich Patient bin."

"Außergewöhnliche Fantasien"

Der Patient, der in der forensischen Abteilung schon größere Freiheiten genoss, berichtete auch von "außergewöhnlichen Fantasien" der damals 17-Jährigen. Mit ihr verabredet, habe er sie dann am Hals gepackt, und "weil es offenbar ihre Vorliebe war", habe er ihr dann auch den Ledergürtel um den Hals gelegt, "aber nur leicht, so dass sie noch Luft bekam".

"Doch, wir haben uns sehr gut verstanden", sagte der Angeklagte, der der Schwesternschülerin aber auch zu verstehen gab, meinte er, dass er seine Grenzen bei diesen Spielchen habe. Da sie, so schilderte es der hagere Mann, "alles Extreme mochte", habe er ihr auch in den Mund gespuckt, sie mit der Hand geschlagen. "Sie hatte nicht gesagt, dass sie sich unwohl dabei fühlte". Im Gegenteil, schilderte der 19-jährige dem Schöffengericht, er hatte den Eindruck, sie wollte noch mehr Schmerzen. Er wollte eigentlich "nur Geschlechtsverkehr" mit ihr haben und sie nicht weiter würgen.

Da die Schwesternschülerin, die nicht nur als Geschädigte galt, sondern auch womöglich als Zeugin und deshalb vor dem Gerichtssaal warten musste, schon vorher eine offene Wunde am Arm hatte, kam es dazu, dass der Angeklagte sogar einen Finger in die blutende Wunde drückte. Dann war Schluss; zum Geschlechtsverkehr kam es nicht.

Zurück in Hochsicherheitstrakt

Der Staatsanwalt hielt dem Angeklagten sexuelle Nötigung und gefährlich Körperverletzung vor. Die Schwesternschülerin zeigte den Patienten an, weshalb er auch von seinem behandelnden Arzt zurück in den Hochsicherheitstrakt verlegt wurde.


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Jetzt kam die überraschende Wende im Prozess. Die Anwältin der Geschädigten ersuchte ein Rechtsgespräch mit Richterin Birgit Griem, den beiden Schöffen und der Staatsanwaltschaft. Die Sitzung wurde unterbrochen und gleich darauf kam eine Audioaufzeichnung auf einer CD ins Gespräch, die mit allseitigem Einverständnis abgespielt wurde. Schon zu diesem Zeitpunkt machte die Verteidigerin darauf aufmerksam, dass sich ihre Mandantin mitunter selbst belasten könnte. Prompt war auf der CD zu vernehmen, dass sie tatsächlich, so wie es der Angeklagte schilderte, die geschilderten sexuellen Fantasien hatte und dies auch einer Freundin erzählte. Sofort beantragte der Staatsanwalt die Einstellung des Verfahrens, was das Schöffengericht auch befürwortete. Die Kosten des Verfahren sollen der Staatskasse zu Last fallen. Mit Handschellen kam der 19-jährige zu Gericht, ohne Fesseln konnte er den Sitzungssaal wieder verlassen. Er wurde gleichwohl trotzdem wieder in den Maßregelvollzug ins Klinikum gebracht.