Erinnerungen: Dank Führerschein out of Forchheim

28.2.2021, 08:56 Uhr
Der Käfer – auch 1977 bei der großen IJZ-Party im Hof vom Waisenhaus belastbar. Im Hintergrund die alte Berufsschule (heute Montessori).

© Foto: privat Der Käfer – auch 1977 bei der großen IJZ-Party im Hof vom Waisenhaus belastbar. Im Hintergrund die alte Berufsschule (heute Montessori).

Thomas Walther, Jahrgang 1952 und Forchheimer, lebt in Japan und schreibt gerne über seine fränkischen Jugendjahre. Dieses Mal zu den Zeiten nach Erwerb des Führerscheins, wenn in der Freizeit die Frage "wohin heute?" aufkeimte.

Titelbild der Schülerzeitung, die den Oberstudiendirektor (im Rahmen) erzürnte.

Titelbild der Schülerzeitung, die den Oberstudiendirektor (im Rahmen) erzürnte. © Foto: privat

Mit der 70er-Dekade kam meine Freizeit ins Rollen. Frisch versorgt mit einem Führerschein, bewegte ich ab und zu das Familienmobil und bald mein erstes eigenes Auto: einen DKW Junior für 30 Mark; viel Rost, wenig Rest (TÜV) und dann Schrott.

Es war sehr viel mehr drin, im motorisierten Leben, das ich mir vornehmlich durch Ferienjobs zusatzfinanzierte. Da mein ganzer Freundeskreis die Volljährigkeit erreicht hatte, blickten wir auf einen kleinen Fuhrpark von brauchbaren Gebrauchten, inklusive Tiefpreis-Motorroller/Motorräder.

Für Reparaturen bis zum einfachen (Heck-)Motortausch griffen die Kfz-Kenner/Könner unter uns zum Werkzeug. Wir kamen nun in der Welt herum, zumindest hatte ich das Gefühl — erfreulich auch die neue automobile Zweisamkeit mit der Herzensdame.

Abgelegene Ortschaften

Eine Zeit lang steuerten wir mit Vorliebe kleine abgelegene Ortschaften mit Wirtshaus an, wie Seidmar oder Zochenreuth. Die Haare nicht zu kurz, die Bekleidung nicht zu konservativ, wurden wir auf dem Land zu meinem Erstaunen nie von Wirten oder lokalen Gästen aufgefordert, zu verschwinden, die Zotteln abzuschneiden und/oder endlich was zu arbeiten.

Im Aufseßtal an der Kuchenmühle, damals ganz ohne offizielle Bewirtung, konnten wir zelten und bekamen vom Bauer ein erstklassiges Eier-Speck-Bratkartoffel-Frühstück dazu. Diese Akzeptanz der "Langhaarigen, Hippies, Gammler" stand im Gegensatz zu den abgedroschenen Anfeindungen in der Kleinstadt. Erste Wohngemeinschaften, sie waren im Ländlichen zu finden, unter anderem in Stackendorf, Kunreuth, Seigendorf, Weidensees.

Nachmittagsbetreuung türkischer Kinder, im Sommer auch mal im Freibad, im Winter am Kellerwald zum Rodeln

Nachmittagsbetreuung türkischer Kinder, im Sommer auch mal im Freibad, im Winter am Kellerwald zum Rodeln © Foto: privat

Wir folgten einheimischen Bands zu Konzerten im Umland, vornehmlich den Bentox alias Chromoson II alias Wind, Purple Haze, The Powerful Tramps und einer Gruppe, die sich Mogadon-Roche nannte. Die größeren und ganz großen Namen erlebten Rock-Fans in der Meistersingerhalle, gegen Ende der 70er Jahre in der Hemmerleinhalle, zur Livemusik im kleineren Rahmen ging es nach Weißenohe ins To Act oder zum Reichelsdorfer Rührersaal.

Bamberg hatte nun seine Existenzberechtigung, wir besuchten die Kneipen an der Sandstraße. Erlangen, mit Jugendzentrum, Theater, großer Filmauswahl, Stadthalle, Studentenlokalen, den ersten griechischen Restaurants, blieb jetzt jederzeit erreichbar. Diverse Freunde stürzten sich auf die damals einzige Crêperie und die Diskothek namens Zirkel, der Montanus beim Merkur garantierte meine Lifestyle-Grundversorgung: Bücher, Schallplatten, Zeitschriften, Poster.

Zweite und letzte FOKUS-Kunstkerwa 1980, dieses Mal in der Hauptstraße und mit Unterstützung der Forchheimer Werbegemeinschaft.

Zweite und letzte FOKUS-Kunstkerwa 1980, dieses Mal in der Hauptstraße und mit Unterstützung der Forchheimer Werbegemeinschaft. © Foto: privat

In Forchheim traf man sich zum Stammtisch-Biertisch-Kartel-Entertainment, ziemlich sicher! Relativ talentiert flipperte ich in der Spielhalle in der Apothekenstraße oder bei Filippo, beim Warten auf die Abhol-Pizza. . .

. . .und da waren noch die Paradeplatz-Geschichten, Kleinstadt-Szenen, ein wenig wie im Film American Graffiti. Am spätabendlichen Treffpunkt vor dem Wild Horse (Hamba) verfolgten wir die gelegentliche Showtime auf Asphalt, besonders als der Platz Baustelle und lange für den Verkehr gesperrt war: Applaus für den Fahrer, der seinen R 4 ohne Fahrer im Standgas kreisen ließ. Als ein Auto in die nicht eingezäunte Mariengruppe krachte und die Maria verschob, schaute die Polizei doch einmal vorbei.Obwohl auf Partys und Konzerten aromatische Rauchwolken emporstiegen und manche in der Tasche was zu naschen dabei hatten (in Stanniolpapier eingewickelt), kann ich mich nicht an ein wahrnehmbares Eingreifen der Gesetzeshüter erinnern. Bei nächtlichen Touren auf Forstwegen wurden wir ein-, zweimal von einem Streifenwagen mitten im Wald total überrascht, erfreulicherweise nicht, als ich in einem auf dem Autodach festgezurrten Schlauchboot mitfuhr.

Betreuung für Kinder

Wir waren nicht bloß schlicht gestrickte Hedonisten. Nach dem fürchterlichen Feuertod von zuhause eingeschlossenen türkischen Kindern organisierten einige von uns eine Nachmittagsbetreuung für türkische Arbeiterkinder. Ab November 1971 beteiligten sich zeitweise bis zu 50 Schüler und Studenten an diesem Projekt. Etwa zeitgleich entfaltete sich der Plan zur Einrichtung einer Jugendbegegnungsstätte im Waisenhaus, die Initiative Jugend-Zentrum (IJZ) und der Kreisjugendpfleger stießen allerdings auf zähen langjährigen Widerstand von Politik und Verwaltung.

Billig und belastbar mussten unsere ersten motorisierten Transportmittel damals sein. Thomas (li.) mit Freund Udo auf Ausfahrt, circa 1972.

Billig und belastbar mussten unsere ersten motorisierten Transportmittel damals sein. Thomas (li.) mit Freund Udo auf Ausfahrt, circa 1972. © Foto: privat

Das gesellschaftskritische Denken der späten 60er Jahre zeigte in der Provinz Wirkung, mündete in politischem, sozialem Engagement und Alternativbewegungen. Überkommenes und Etabliertes sah sich infrage gestellt und bedroht, Konflikte blieben nicht aus. Die Schulleitung des Gymnasiums empfand Aufmachung und Inhalt der Schülerzeitung "In Treue fest" als zu provokativ und erteilte der Redaktion per Standgericht Schreibverbot.

An die einzuweihende St. Anna-Kirche wurde ein Protestspruch (sinngemäß gegen klerikale Protzbauten) gepinselt. In den Zeiten der anstehenden Ostverträge fuhr ich im Team nachts übers Land, um Wahlplakate der Konkurrenz zu überkleben, das Überkleben fand im Wechselspiel (der Leim war noch feucht) statt. Günter Grass parkte seinen Es-Pe-De-VW-Bus vor der VfB-Halle und erklärte uns alles drinnen.

Kneipenkino und Arthouse-Filme

Als Student in Nürnberg behielt ich meine Heimatstadt im Blick, beteiligte mich am Forchheimer Kneipenkino, das in Wirtshaus-Nebensälen Arthouse-Filme vorführte, stets mit anschließender Diskussion. Nach Eröffnung des Jugendzentrums setzte der neu gegründete Verein FOKUS (Forchheimer Kulturszene) sein ambitioniertes Ziel, laut Satzung "Förderung des kulturellen Angebots für alle Bürger, insbesondere für Jugendliche . . .", erfolgreich um. Ohne FOKUS weder Kunstkerwa 1979 und 1980 noch Auftritte von Liedermachern wie Horst Grimm (Alabätsch) oder Manfred Maurenbrecher. Ansonsten ging der Trend zur Bierbar mit Musik. 1977 öffnete die Funzl, etwas später das Légère und Biwak.

Inklusive Theka 2 (später Saitensprung) zog die Bambergerstraße auf einmal Nachtschwärmer an. Dazu der Disco-Boom — das Hamba hatte es schon lange, das Atlantis (heute E-Center) fand sein Stammpublikum. Mein lokales Lieblingslokal hieß damals Gottla-Keller. Wirt Siggi stellte nach Startschwierigkeiten sonntägliche Jazz-Frühschoppen auf die Beine und von da an schlug das Gottla bei jungen Menschen ein, weil alles passte: Essen, Musik (mitunter live abends) und Ambiente.

Zu sagen wäre noch, dass Provinz im Kopf stattfindet und ich mich selten kleinstädtisch abgesondert fühlte, dank Wohnlage auf der Achse Bamberg-Nürnberg. Das mehr oder weniger anspruchsvolle Freizeit/Kultur-Gesamtangebot der Region genügte meinen mehr oder weniger anspruchsvollen Interessen. Sehr gerne denke ich an die Forchheimer Sommer-Kombination "erst ins Stadtbad und abends auf die Keller" zurück.

Im Übrigen beförderte mich selbst ein Rost- und Beulen-VW mit 30 PS bis Schwabing oder Berlin, nach Italien oder in die Bretagne. Auf allen Fahrten enorm wichtig: eine ausreichende Anzahl an Kassetten mit eigener Hit-Mischung für den Philips-Recorder dabei gehabt zu haben.

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