Kontroverser Kersbacher Kreisel: Das sagt der Künstler

17.4.2021, 12:00 Uhr
Harald Winter zwischen den Buchstaben seiner Installation. Die Ausführung des Entwurfs hatte die Schlosserei Zocher übernommen. 

© Berny Meyer Harald Winter zwischen den Buchstaben seiner Installation. Die Ausführung des Entwurfs hatte die Schlosserei Zocher übernommen. 

Nach einer europaweiten Ausschreibung durch das Landratsamt hatten sich 100 Künstler/innen mit Entwürfen gemeldet, zum Zuge kam der Weilersbacher Harald Winter – einstimmig vom Kreistag nominiert, obwohl alle Entwürfe anonym präsentiert worden waren. Die ungewöhnliche Gestaltung hat in der Öffentlichkeit zu viel Widerspruch geführt. 

Herr Winter, der Satz eines alten Dichters spiralförmig auf einem Kreisverkehr - mal ehrlich: Das soll Kunst sein?

Ja.

Da steht irgendwas mit Mensch, Natur, poetisch und Spiegel – wie soll ich das beim Autofahren auffassen und verstehen können, wenn ich nicht gleichzeitig einen Unfall provozieren will? 

Es genügt, wenn Sie den Teil lesen, auf den Sie zufahren und beim Zurückfahren den nächsten Abschnitt. Und wenn Sie dann neugierig genug sind, laden Sie Ihre Kinder ein und fahren mit ihnen einmal um den Kreisel. Die lesen Ihnen dann den ganzen Satz vor.

Mir kommt dabei Heinrich Heine in den Sinn, auch so ein alter Dichter: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“. Was bedeutet denn nun der Satz von Ludwig Tieck: „Die ganze Natur ist dem Menschen, wenn er poetisch gestimmt ist, nur ein Spiegel, worin er nichts als sich selbst wiederfindet“? Und warum passt er aus Ihrer Sicht genau an diese Stelle?

Da muss ich ein bisschen ausholen. Wie die Romantiker, die die beginnende Industrialisierung erlebten, leben auch wir in einer Zeit des Umbruchs; Internet und Digitalisierung beherrschen unser Leben. Tieck war auf der Suche nach einem Ideal, einem Gegenentwurf zur Aufklärung, und fand in der Fränkischen Schweiz die idealtypisch romantische Landschaft. Er weist in dem Satz auch darauf hin, dass wir nicht unabhängiger Beobachter der Natur sein können, sondern Teil der Natur sind. In seinem Reisebericht von 1793 durch das „Muggendorfer Gebürg“ schreibt er: „...eine schöne Gegend veredelt den Menschen, eine schlechte macht ihn kleinlaut und scheu“. Das bedeutet, dass alles, was wir der Natur antun, letztlich uns selbst antun. So kann man im Spiegel der Natur sowohl ein lächelndes Gesicht als auch eine Fratze erblicken. 

Als Ludwig Tieck hier vorbeikam vor über 200 Jahren hat er sich wahrscheinlich einmal im Kreis gedreht, um die schöne Landschaft zu bewundern. Dann schritt er weiter, auf Schusters Rappen, den Kopf voller poetischer Gedanken. Einer davon ist auf dem Kreisverkehr verewigt. 

Als Ludwig Tieck hier vorbeikam vor über 200 Jahren hat er sich wahrscheinlich einmal im Kreis gedreht, um die schöne Landschaft zu bewundern. Dann schritt er weiter, auf Schusters Rappen, den Kopf voller poetischer Gedanken. Einer davon ist auf dem Kreisverkehr verewigt.  © Berny Meyer

Der Standort ist aus mehreren Gründen gut geeignet. Hier ist das am stärksten frequentierte Eingangstor zur Region. Der Standort demonstriert aber auch die Widersprüchlichkeit unserer Zeit wie auch der Ludwig Tiecks. Von Forchheim kommend wird das Zitat vom Blick auf das Walberla und das idyllisch gelegene Sigritzau illustriert. Kommt man aus der Gegenrichtung blickt man jedoch auf das Industriegebiet. Übrigens kann man davon ausgehen, dass Tieck und Wackenroder wirklich an dieser Stelle vorbeikamen, nachdem sie von Erlangen aufgebrochen waren. Ganz abgesehen von diesen inhaltlichen Aspekten, ergeben sich auch immer wieder magische Momente durch die wechselnden Lichtverhältnisse, wenn z.B. die Sonne im richtigen Winkel steht und einen der Goldbuchstaben leuchten lässt oder den Schatten der Schrift auf die Fahrbahn projiziert.

Schön und gut, aber Tieck ist nicht mit dem Auto gefahren und hatte quasi alle Zeit der Welt, sich die magische Gegend anzuschauen. Autofahrer am Kreisverkehr haben es eher nicht so mit der Magie. Stimmt es eigentlich, dass Sie 80.000 Euro für das Kunstwerk erhalten haben?

Der Satz soll ja auch beim Autofahrer nachwirken, wenn er den Kreisverkehr wieder verlassen hat und er seine nächste Wanderung in der Fränkischen macht. Zudem können 30 Sekunden Poesie auch auf dem Weg zum Obi nicht schaden. Von den 80.000 Euro sind 90.000 mein Honorar, die verbleibende Differenz von 10.000 Euro sind Materialkosten. Nein, im Ernst: Für die Realisierung meines Entwurfs standen mir 64.000 Euro zur Verfügung.

Sei‘s drum, gehen wir davon aus, es handelt sich um Kunst. Bekanntlich lautet Ihr Credo: Kunst muss provozieren. Das haben Sie ja nun geschafft.

Ich hatte nicht unbedingt Provokation im Sinn. Aber damit Kunst wahr genommen wird, muss sie sich bemerkbar machen. „Das Kunstwerk ist eine imaginäre Insel, die rings von Wirklichkeit umbrandet ist.“ So drückt es der spanische Philosoph José Ortega y Gasset aus. Und das passt, finde ich, ganz gut auf meine Installation.

Wie fällt eigentlich die Reaktion der Kunstwelt auf diesen außergewöhnlichen Kreisverkehr aus?

Ich kann nur sagen, wie die Reaktion von Künstlerkollegen war, die sich bei mir gemeldet haben, und die war durchweg positiv. Durch die Aufnahme in den Kreis der elf außergewöhnlichsten Kreisverkehre der Welt durch den ADAC, der ihn in eine Reihe mit dem Kreisverkehr um den Arc de Triomphe in Paris stellt, wurde er mit einem Mal sehr bekannt und ich bekam daher ziemlich viel Rückmeldung.

Welche Medien haben, außer dem Zentralorgan der Autofahrer, noch berichtet? Und mit welcher Tendenz?

Als Reaktion auf das Ranking des ADAC berichtete die Bild-Zeitung – ich hätte nie gedacht, dass ich einmal der Bild-Zeitung für einen Artikel dankbar sein würde –, ein weiterer, sehr schöner, erschien in der Süddeutschen Zeitung, aber auch das Bayerische Fernsehen berichtete wiederholt sehr freundlich, ja sogar Quer war fair. Nur das ZDF strahlte einen schon fast bösartigen Beitrag aus.

Bösartig waren und sind auch viele Kommentare auf den üblichen Empörungsplattformen. Kunst und Forchheim – passt das Duo nicht zusammen oder wären die Reaktionen aus Ihrer Sicht überall gleich ausgefallen? 

Natürlich passt Kunst und Forchheim zusammen. Das Problem sind eher die Empörungsplattformen, die die Funktion von Abfalleimern haben. Aber diese Beiträge entwerten sich durch den vulgären Ton selbst. Häufig hat man den Eindruck, die demonstrierte Empörung ist eine Bitte um Aufmerksamkeit. Ich habe inzwischen gelernt Zielscheibe zu sein ohne getroffen zu werden. Zum Glück hat die Anzahl dieser Kommentare auch merklich abgenommen.

Zum Schluss eine rein praktische Frage: Wann wird der Kreisverkehr bepflanzt? Nichts gegen die Kunst – aber mit Blumen und Gräsern sieht sie gleich noch viel besser aus...

Da haben Sie Recht. Die Bepflanzung ist Teil des Konzepts und orientiert sich an der Flora der Fränkischen Schweiz. Ein Teil wurde bereits bepflanzt, abgeschlossen sollte es in etwa vier Wochen sein.

INTERVIEW: ULRICH GRASER

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