Königsbad statt Altstadt

So war das ZirkArt-Festival 2021 in Forchheim

13.9.2021, 07:00 Uhr
Sobald sie an der Vertikalstange steht (oder hängt), scheinen Arthrose, Rheuma und Parkinson wie weggeblasen. Akrobatin Anja Gessenhardt aus Berlin sorgte für Staunen.

© Udo Güldner Sobald sie an der Vertikalstange steht (oder hängt), scheinen Arthrose, Rheuma und Parkinson wie weggeblasen. Akrobatin Anja Gessenhardt aus Berlin sorgte für Staunen.

Auf der Liegewiese des Königsbades wurden es gerade wegen der grünen Kulisse und der kurzen Wege vier zauberhafte Tage. Wir geben einen Einblick in den Samstag, der poetische Geschichten, atemberaubende Akrobatik und Jonglage aus einer anderen Welt bot.

Nur mehr Besucher hätte man sich wünschen mögen. Anfangs muss die angeblich 83-jährige Frau Kanuschke vom ehrenamtlichen Helfer Jan Rüther sogar gestützt werden. Im Zeitlupentempo trippelt sie über das beinahe barrierefreie Gelände.

Sobald sie aber an der Vertikalstange steht, scheinen Arthrose, Rheuma und Parkinson wie weggeblasen. Dafür sorgt die Akrobatin Anja Gessenhardt aus Berlin, die sich unter all dem Beige verbirgt. Frau Kanuschke hat nämlich vier Stockwerke, hinauf in ein Baumhaus vor sich. Zu ihrer Freundin Trude. Natürlich ohne Fahrstuhl. Wenn man sieht, mit welcher Leichtigkeit der graue Star die unüberwindbar scheinenden Hindernisse überwindet, dann möchte man auch von den geheimnsivollen Pralinen kosten, die ihr diese Superkräfte verleihen.

Einige Kinder in den ersten Reihen kommen in den Genuss. Nur klettern sieht man sie danach nicht. Ganz so minimalistisch, wie Anni Küpper aus Bonn sich selbst angekündigt hat, wird ihre poetische halbe Stunde dann doch nicht. Es gibt zwar keinen doppelten Boden und keine Pyrotechnik, die man bei all dem strahlenden Sonnenschein auch nicht recht hätte genießen können. Dafür aber ganz viele originelle Ideen und nicht zuletzt eine Körperbeherrschung, die man beim Zusehen nicht glauben mag.

Selbst mit auf den Rücken gefesselten Händen kann sie das Jonglieren und Balancieren nicht lassen. Nur gut, dass die Bühne hoch genug ist, damit ihre sechs wild wirbelnden Keulen sich austoben können. Sie lassen sich dabei auch nicht von lautstark streitenden italienischen Paaren oder grummelnden Motorrädern in der Äußeren Nürnberger Straße aus der Bahn werfen. Ein Clown, der niemanden mehr zum Lachen bringt und deshalb die Pointen auf dem Grund einer Schnapsflasche sucht; und eine Tänzerin, die nicht mehr tanzen kann und deshalb den Kopf in einen Gasherd steckt. Von schlimmen Schicksalen erzählt Charlie Chaplins „Rampenlicht“.

Das Publikum träumt mit

Das Ansbacher Duo „Spiel.Werk“ verwandelt den Kinofilm in ein anrührendes Kammerspiel, in dem sich Bewegung und Stillstand im Gleichgewicht befinden. Lukas Aue und Stephanie Roser zeigen in einer fein abgestimmten Performance, wie eine Freundschaft zweier verlorener Seelen deren Leben rettet. Nur weil sie wieder anfangen zu träumen. Das Publikum träumt einfach mit.

Nachdem es dunkel geworden ist, öffnet das Straßebtheater „Omnivolant“ ihr doch etwas skurriles Café. Aus einem kleinen Nagetusch-Wohnwagen, made in Dresden, holen sie alles, was man für die Gäste braucht. Leere Weinflaschen, aus denen Nils Wollschläger kleine Türmchen baut, und auf die er steigt, um dort oben mit noch mehr Leergut sehr gut zu jonglieren. Dann fliegt die Zuckerwatte-Maschine in die Luft. Schließlich heißt die Truppe doch „Alles fliegt“.

Währenddessen versorgt Julia Knaust das Publikum mit echtem Espresso und charmantem Champagner, bis einige Paare sich dem Mitternachts-Walzer hingeben. Es folgen unerwartet akrobatische Einlagen auf einem Klapprad, auf dem Dach des Wohnwagens oder einfach zwischen den Stühlen. Wenn es nach den Zuschauern gegangen wäre, hätte es keine Sperrstunde gegeben.

Hoch hinaus wollen Marie & Joschi aus Berlin. Immerhin acht Meter ragt das Metallgestänge in den Abendhimmel. Dort oben auf dem Schwungtrapez macht Marie Schmitz jene Luftsprünge, die ihren Herzschlag sichtbar werden lassen. Denn trotz aller halsbrecherischen, spektakulären Akrobatik ist es doch eine Liebesgeschichte. Zu den Klängen von Nino Rotas Filmmusik für „La Strada“ kochen in der Trattoria die Gefühle hoch. Sie macht eine bella figura, er macht ihr den Hof.

Es dauert freilich etwas, bis beide auf dergleichen Wellenlänge schwingen, hoch über den Zuschauern. Bis dahin tanzen sie und lassen dabei Debbie Reynolds und Gene Kelly ziemlich alt aussehen. Dass er als Rosenkavalier längst ihr Herz gewonnen hat, zeigt sich hernach, als die fünfjährige Tochter Anouk auch ins Scheinwerferlicht treten darf. „In Forchheim gibt es eine handvoll Spinner, die sich weigern, sich eine Welt ohne Theater vorzustellen“.

Da hat Moderator Matthias Romir aus Nürnberg ein wahres Wort gesprochen. Der Pausen-Clown mit der Cyrano de Bergerac-Nase hat mit seinen seltsamen Einfällen einigen Anteil daran, dass jede der rund zweistündigen Programme zum Erlebnis werden. Mal zeigt er, wie man Jonglierkeulen in einer frisch angefutterten Bauchfalte fangen kann; mal lässt er das Publikum in einem Sekt-Schauer stehen; mal bedroht er es, hoch auf einem Einrad sitzend, mit einem Revolver, und noch schlimmer: einer leibhaftigen Panflöte, auf der er die Lambada spielt. Wenn er doch nur abgedrückt hätte...

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