Frühchen: Raus aus dem Krankenhaus – und dann?

28.11.2020, 06:00 Uhr

Es war für Oskar ein schwerer, ein plötzlicher Start ins Leben. Seine Mutter hatte Komplikationen in der Schwangerschaft, wurde stationär in der Klinik Hallerwiese-Cnopfsche Kinderklinik aufgenommen und von den Ärzten schon auf eine Frühgeburt vorbereitet. Und eines Tages ging es ganz schnell — per Not-Kaiserschnitt in der 29. Schwangerschaftswoche. "Für mich war es ein Schock, ich war nervös und allein: Mein Mann war beruflich in Frankreich", berichtet Helena Hein. Rund zwei Monate vor dem errechneten Termin kam Oskar auf die Welt, er wog gerade mal 1200 Gramm. "Er war nur ein Handvoll", wie sich seine Mutter erinnert.

Das Baby war ein Kämpfer. Oskar hatte zwar Atemaussetzer, doch konnte er prinzipiell alleine atmen. "Er war angeschlossen an Geräte, es piepste ständig: Natürlich machte man sich Sorgen." Trotzdem: Ärzte und Pflegepersonal waren zufrieden mit der Entwicklung des Neugeborenen, erklärten den Eltern Helena Hein und Benjamin Hume ihre Arbeit und gaben ihnen so Sicherheit.


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Nach neun Wochen in der Cnopfschen Kinderklinik durfte Oskar endlich heim zur Familie nach Bad Windsheim. Es war der große Tag, auf den sich die Eltern schon so gefreut hatten — und vor dem sie zugleich große Angst hatten.

Eltern sind nicht allein

Daheim gibt es keinen Arzt und keine Krankenschwester, die man zu jeder Tages- und Nachtzeit rufen könnte. Alleine sind die Eltern dennoch nicht: Mit der Frühchen-Nachsorge "Cnöpfchen zu Hause" begleitet die Kinderklinik früh geborene und schwerkranke Kinder und deren Eltern beim Übergang vom Krankenhaus ins eigene Heim.

Eine Kinderkrankenschwester besucht die Eltern von Oskar regelmäßig, wiegt das Baby und schaut nach, ob sich das Frühchen gut entwickelt. Zwischen den Hausbesuchen können Eltern auch telefonisch um Rat fragen - etwa als das Baby einmal seine Flasche mit der Spezialnahrung einfach nicht mehr nehmen wollte. Oskars Vater Benjamin Hume sagt: "Die Hilfe besteht für mich darin, uns im Umgang mit Oskar Sicherheit zu geben."

Rund 200 Familien wurden seit dem Start von "Cnöpfchen zu Hause" im Jahr 2017 betreut. Regelmäßiger telefonischer Kontakt, Hausbesuche, Begleitung zum Kinderarzt, Infos über Frühförderstellen, psychologische Beratung oder auch Gespräche durch Seelsorger — die Hilfe ist ganz auf die Bedürfnisse jeder einzelnen Familie zugeschnitten. Die zuständige Klinik-Mitarbeiterin Birgit Meyer sagt: "Die Mütter können auf diese Weise noch einmal die Klinikzeit Revue passieren lassen, besprechen und aufarbeiten. Das Nachsorge-Team ist für Allgemeinfragen, Unsicherheiten und zur Begleitung da — bietet allerdings keine Notfallversorgung." Für die Eltern ist dies kostenlos: Das Angebot wird durch Krankenkassen sowie durch Spenden und durch die Klinik getragen.

Die Familie im Blick

Auch am Klinikum gibt es diese Nachsorge in Kooperation mit dem Förderverein Klabautermann. Karola Miller, die bei Klabautermann für die sozialmedizinische Nachsorge zuständig ist, sagt: "Wir haben hier die Familie im Blick." Nicht nur die gesunde Entwicklung des Kindes, auch die Ängste und Sorgen der Eltern stehen im Fokus. Karola Miller weiß: "Die Eltern haben viel zu verarbeiten." Auch hier geht ein interdisziplininäres Team — bestehend aus Kinderkrankschwestern, Sozialpädagogen oder Psychologen — auf die jeweilige Situation vor Ort ein.

Aus medizinischer Sicht dauert eine Schwangerschaft 40 Wochen. Deutschlandweit werden nach Angaben des Bundesverbandes "Das frühgeborene Kind" jährlich etwa 60 000 Kinder vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche geboren: Jedes elfte Baby ist damit ein Frühchen. Wegen der noch nicht abgeschlossenen Entwicklung haben vor allem extreme Frühchen mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. So sind etwa die Lungen mitunter noch nicht gut entwickelt, das Infektionsrisiko ist erhöht, ein Brutkasten (Inkubator) in der Klinik sorgt für den Schutz des Kindes.

Der medizinische Fortschritt ist groß. Und so haben laut Prof. Christoph Fusch vom Klinikum auch Frühchen, die in der 22., 23. Schwangerschaftswoche auf die Welt kommen, eine Chance — anders als früher. "Wir haben so viel gelernt. Das hat sich in den vergangenen 20, 30 Jahren sehr verändert", sagt der Chefarzt der Klinik für Neugeborene, Kinder und Jugendliche.


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So gibt es heute spezialisierte Kliniken, die sehr erfahren sind bei der Versorgung von Frühgeborenen. Zudem setzt man mittlerweile auf eine "sanfte, angepasste Pflege", wie es Christoph Fusch formuliert. Ist eine maschinelle Beatmung wirklich nötig oder geht es auch mit sanfteren Methode, die eine selbständige Atmung ermöglicht? Derartige Fragen stellen sich die Mediziner jeden Tag. "Nur so viel Intensivmedizin wie nötig", laute die Devise. Die Eltern der Frühchen gehören im Klinikalltag mit dazu, sie werden informiert über die einzelnen Behandlungsschritte — das Personal will ihnen die Angst nehmen vor den Geräten und Maschinen. "Die Eltern sind mit ihrem Kind zum Teil bis zu sechs Monate bei uns, sie werden selbst zu Frühgeburt-Experten und sind Teil unserer Stationsfamilie."

Tränen auf der Station

Die Sterblichkeit sei sehr gering, jedoch: "Das eine oder andere Kind schafft es nicht." Und wenn so ein kleines Leben, um das die Klinikmitarbeiter so gekämpft haben, erlischt, dann kann der Chefarzt seine Gefühle nicht zurückhalten: "Ich habe auch schon auf der Station geweint." Doch Fusch betont: Sein Beruf sei "ausgesprochen erfüllend".

Erfüllend, so ist auch für Helena Hein und ihre Familie diese erste Zeit mit Oskar. Die große Schwester kümmert sich liebevoll um das Baby, die aufregende Anfangszeit ist überstanden. "Es läuft alles richtig gut, er ist ein pflegeleichtes Kind und ein starkes Kerlchen."

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