"Corona killed the Videostar": Fürths letzte Videothek schließt

23.11.2020, 17:21 Uhr

© Hans-Joachim Winckler

Der Abspann läuft: Seit Ende September verkauft Harald Krammer seine DVDs und Blu-ray-Filme – alles muss raus, denn bald schließt er seine Videothek. "Corona killed the Videostar", zu deutsch etwa "Corona tötete den Videostar" ist im Schaufenster von Fürths letzter Videothek an der Schwabacher Straße 99 zu lesen. In den vergangenen Jahren hat Krammer dem Niedergang einer ganzen Branche standgehalten, nun zwingt ihn das Coronavirus endgültig in die Knie.


Dank Blu-Rays und Pornos: Fürths letzte Videothek lebt


Die Pandemie lähmt den Filmverleih, weil man auf größeres Publikum warten will, und im Lockdown stehen die Projektoren der Kinos gleich ganz still. Folglich bleibt auch der Neuheiten-Nachschub für Krammers Publikum aus. "Wenn nichts da ist, was die Leute interessiert, kommen die rein und sind schnell wieder draußen", sagt er. Und so zeigt seine Umsatzkurve nicht mehr wenigstens ab und an nach oben, sondern seit Monaten nur noch nach unten. "Es ist unrentabel, zu warten und zu hoffen."

Deshalb zog er jetzt den Schlussstrich. Krammer ist 56 Jahre alt, einen Plan B für die letzten Berufsjahre vor dem Ruhestand hat er nicht. Illusionen macht er sich keine: In seinem Alter werde er vermutlich keine Anstellung mehr finden. Hätte er wählen dürfen, hätte er bis 60 gearbeitet und seine Videothek dann zugesperrt. Einerseits, so Krammer, sei er zwar froh, dass die Entscheidung zu schließen gefallen sei. Andererseits habe er fast 30 Jahre seiner Lebenszeit in den Filmverleih gesteckt – jeder Abschied tut weh.

Dass er sich mit seiner Videothek überhaupt so lange halten konnte, kommt einem kleinen Wunder gleich. 1992 übernahm er sie als Betreiber, seit 2016 gehört sie ihm ganz. Ein Besuch in seinem Laden fühlt sich an wie eine Reise in die Vergangenheit: als noch viel Zeit in die Auswahl dieses einen besonderen Films fürs Wochenende floss und die Entscheidung noch nicht per Mausklick fiel.

Der Effekt der Quelle-Schließung

Sein Geschäft machten Krammer nach und nach viele kleine Bausteine kaputt: Die knapper werdende Zeit, die dazu führt, dass die Menschen lieber den Fernseher einschalten, als sich bewusst für einen Film zu entscheiden. Streaming-Dienste wie Netflix und Co., die Filme und Serien jederzeit und für wenig Geld anbieten. Potenzielle Kunden, die auf dem Land wohnen und den Weg in die Stadt scheuen. Parkplätze, die über die Jahre in der Südstadt weggefallen sind. Die Schließung von Quelle und Grundig und der damit verbundene Verlust der dortigen Arbeitsplätze – das typische Videothek-Klientel, das "die Flucht aus dem Alltag sucht", so Krammer. Und jetzt obendrein eben noch Corona.

Dass er sich so lange behaupten konnte, lag zum einen an den hohen Kinopreisen, zum anderen an seinen Stammkunden, die sein geballtes Filmwissen und die Unterhaltungen schätzten, die ihm das Gefühl gaben, ein "Barkeeper im Saloon" zu sein, weil er ihre Geschichten kannte.

"Ohne Hardcore hätte man das nicht machen können"

Eine Sonderrolle spielte auch das "Porno-Eck" im hinteren Teil des Ladens, das ein wesentlicher Bestandteil seines Geschäfts war. "Ohne Hardcore hätte man das nicht machen können". Das mag erstmal verwundern, liefern doch diverse Internetportale sogar umsonst ein breites Spektrum für verschiedenste Geschmäcker. Aber: Eine Videothek verschaffe Ehemännern Sicherheit vor neugierigen Ehefrauen, die den Internetverlauf überprüfen, sowie vor Viren, erklärt Krammer. Außerdem sei die Qualität der DVDs optimal und die Streifen sind werbefrei.

Über 8000 Filme aller Sparten hatte er vor dem Ausverkauf im Repertoire, jetzt hat er noch 5653. Ein Nachmieter ist bereits gefunden, doch bis nicht alles in trockenen Tüchern ist, will er noch nicht verraten, welches Geschäft in die über 200 Quadratmeter umfassenden Räume einzieht.

Wann der letzte Film über die Theke geht, ist ungewiss – Krammer schätzt, dass er irgendwann im Lauf des Dezembers schließen wird, sobald alles mit der Stadt geregelt ist. Dann endet in Fürth die Ära der Videotheken, der viele Menschen hinterhertrauern dürften.

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