Zum Buß- und Bettag

Halbnackte "Indianer": Fürther Kirche gestaltet Denkmal wegen kolonialistischer Klischees um

Claudia Ziob

Lokalredaktion Fürth

E-Mail zur Autorenseite

15.11.2022, 12:16 Uhr
So sieht das Relief aus, das am Löhe-Denkmal auf dem Kirchenplatz der Fürther Altstadtkirche St. Michael angebracht ist. Der Titel: "Löhes Sendboten predigen den Indianern das Evangelium".

© Hans-Ulrich Pschierer So sieht das Relief aus, das am Löhe-Denkmal auf dem Kirchenplatz der Fürther Altstadtkirche St. Michael angebracht ist. Der Titel: "Löhes Sendboten predigen den Indianern das Evangelium".

Wegen der "kolonialistischen Klischees" erhält das Wilhelm-Löhe-Denkmal auf dem Kirchenplatz an der Fürther Altstadtkirche St. Michael eine "sichtbare Neuinterpretation" - und zwar bewusst zum Buß- und Bettag an diesem Mittwoch, 16. November. Das hat das evangelische Dekanat in Fürth angekündigt. Denn: An diesem evangelischen Feiertag gehe es um Besinnung und das Nachdenken über fehlerhaftes Verhalten und Schuld, wie es in der Pressemitteilung heißt.

Die Umsetzung habe Pfarrer Hans-Ulrich Pschierer initiiert. "Die Idee zu diesem 'Kommentar' entstand, weil ich täglich von meinem Bürofenster aus Menschen um das Denkmal gehen sehe", erzählt er. "Der Gedanke, dass diese ungebrochen kolonialistische Sichtweise im Denkmal ein 'Aushängeschild' für unsere Kirchengemeinde ist, war für mich schwer erträglich," sagt Pschierer.

Das Denkmal, eine überlebensgroße Bronzebüste, zeigt den 1808 in Fürth geborenen Theologen Wilhelm Löhe. Es wurde im Jahr 1928 vom ebenfalls in Fürth geborenen Bildhauer Johannes Götz (1865-1934) geschaffen. An den Seiten sind Themenplatten angebracht - jene auf der westlichen Seite behandelt Löhes Engagement für die Entsendung von Missionaren nach Nordamerika. Das Relief trägt den Titel "Löhes Sendboten predigen den Indianern das Evangelium."

Einig, dass die Bildsprache problematisch ist

Zu sehen ist, so beschreibt es das Dekanat, "ein Bärtiger im Talar, der hoch aufgerichtet vor den halbnackten Native Americans steht und diese belehrt, mit einer Bibel unter dem Arm und erhobenem Zeigefinger". Dass die Bildsprache problematisch ist, darin sei sich der Kirchenvorstand von St. Michael einig: Sie verherrliche kolonialistische Klischees und westliche Dominanz.

Der Vorstand sei aber noch zu keinem Ergebnis gekommen, wie man in Zukunft damit umgehen möchte, so Pschierer. Vorerst soll daher eine "sichtbare Kommentierung" das Denkmal ergänzen: Die Idee dazu entwickelte der Pfarrer zusammen mit Johanna Kluge, die im Amt für Jugendarbeit für internationale Kontakte zuständig ist, Vikar Jakob Nehring und seinem Sohn Nick Pschierer, der an der Nürnberger Kunstakademie studiert.

Die Herrschaftsverhältnisse werden umgekehrt

Nick Pschierer hat eine Zeichnung entworfen und eine durchsichtige Acrylplatte gestaltet, auf der die Herrschaftsverhältnisse umkehrt werden. Das Dekanat erklärt: "Jetzt hockt der Bärtige im geistlichen Habitus und barfuß vor dem hochaufgerichteten Native American. Der trägt Schuhe und einen Anzug. Neben ihm ist zu lesen: Jetzt hörst Du mal zu!" Unter der neuen Bilddarstellung ist zu lesen: "Denk-mal".

Pfarrer Hans-Ulrich Pschierer präsentiert die Neuinterpretation der Reliefplatte vom Löhe-Denkmal auf dem Kirchenplatz.

Pfarrer Hans-Ulrich Pschierer präsentiert die Neuinterpretation der Reliefplatte vom Löhe-Denkmal auf dem Kirchenplatz. © Christiane Lehner/Evangelisches Dekanat Fürth

Durch die Acrylplatte sei es möglich, auf die ursprüngliche Darstellung des Reliefs zu blicken. Hans-Ulrich Pschierer sagt: "Es ist ein Versuch, die Bildsprache und die Botschaft kritisch zu brechen und Betrachter*innen anzuregen, die Problematik des Denkmals bzw. der Kolonialgeschichte zu reflektieren."

Zum Buß- und Bettag an diesem Mittwoch, den 16. November, wird die Platte über dem Relief am Löhe-Denkmal provisorisch angebracht. Zusätzlich setzen sich im Gottesdienst in St. Michael um 19 Uhr Pfarrer Hans-Ulrich Pschierer und Sergio Rios Carillo aus Nicaragua, ehemals Menschenrechtsbeauftragter bei Eine-Welt in Neuendettelsau, mit dem Thema Kolonialismus auseinander.

Im Sommer hatte sich der Ravensburger Verlag dazu entschlossen, Winnetou-Bücher vom Markt zu nehmen und damit in Deutschland teils hitzige Debatten über den Umgang mit Klischees und Rassismus im Zusammenhang mit der Darstellung der indigenen Bevölkerung Nordamerikas ausgelöst.