Kulturzentrum 

Kofferfabrik: Darum sieht der Chef jetzt das rettende Ufer

9.6.2021, 16:29 Uhr
Kofferfabrik: Darum sieht der Chef jetzt das rettende Ufer

© Hans-Joachim Winckler

Eine gewisse Dosis Beklopptheit kann nie schaden, vielleicht hat sie ja die Kofferfabrik gerettet. Damals, vor 14 Jahren. "Ich habe nicht gewusst, was mich das für Nerven kosten würde", sagt Udo Martin über diese eine Lebensentscheidung.

Das Kulturzentrum in der Langen Straße, seit Mitte der Neunziger auf Sendung, war am Boden. Es stand gar nicht gut um den Laden. Also fragte sich ein Stammgast der ersten Stunde: Verliere ich mein Wohnzimmer oder mache ich es selber?

Udo Martin, so hieß der Stammgast, machte es, weil er gerade seine Firma verkauft hatte, selber, legte kaufmännisches Knowhow und Spaß am Veranstaltungsbusiness in die Waagschale und etablierte die Kofferfabrik als schwer kopierbaren Hort von Sub- und Gastro- und Sonstwie-Kultur. Einziger Ruhetag im Jahr: Neujahr. "Du musst einen Treffer haben, um so was zu machen."

Shitstorm mit Folgen

Hinzufügen möchte man: Du musst Treffer wegstecken, denn die größten Einschläge für die Kofferfabrik, sie kamen nicht 2007, sondern 2020 und 2021. Pandemie und Kündigung. Im montagabendlichen Online-Interviewformat "Talk im Tatü" des Fürther Zukunftssalons in der Hirschenstraße präsentiert sich dennoch ein halbwegs tiefenentspannter Koffer-Chef, der nicht vergessen wurde von der Sonne, die seinen insularen Zweitwohnsitz vor Afrikas Küste zuverlässig bescheint.

Doch von Paradies keine Spur. Was sich in den vergangenen Monaten rund ums betagte Fabrikareal ereignete, hat Martin, wie er dem freundlichen Gastgeber Sebastian Zink von der Katholischen Erwachsenenbildung Fürth verrät, durch manche sonnenlosen Seelen- und Tränentäler gejagt.

Zwei brutal harte Lockdowns mit ungefähr null Euro Einnahmen und jene Kündigung, die nach einem XL-Shitstorm der Koffer-Getreuen ein paar Tage später plötzlich ein Missverständnis war - immerhin eins, das dazu führte, dass Stadt und Immobilieneigentümer seit dem Knall von Februar/März über die Zukunft des Hauses verhandeln.

"Im Großen und Ganzen haben wir es wohl geschafft", kann Martin jetzt verkünden, es werde wohl auf einen neuen Mietvertrag mit vier oder fünf Jahren Laufzeit hinauslaufen. Heißt zwar, dass man abermals auf gepackten Koffern sitzen werde, aber nicht mehr mit sechsmonatiger Kündigungsfrist. "Wir werden besser dran sein als in den vergangenen Jahren."

Räume für Jugendliche

Eine Brandschutzanlage soll es geben, damit die Saison 20/21 ab 24. September über die Bühne gehen kann, im Sommer sind einige Open Airs im Hof geplant. Es riecht also nach Neustart. Nicht verhehlen mag Martin dennoch seinen Groll, "dass oft über die Koffer geredet wird, aber nicht mit der Koffer"; kurzum, ein Live-Gespräch mit OB Jung, der Eigentümer-Firma Lauer und dem Mieter hat es noch immer nicht gegeben.

Doch die Hoffnung stirbt zuletzt, wie der Traum, den Martin weiterhin träumt: die Kofferfabrik unter den Fittichen einer Stiftung, die sich um die gründliche Sanierung des Areals kümmern könnte. Und wo wir schon beim Thema "Wünsche" sind: Von Zink zur Zukunft der (Sub-)Kultur in der Kleeblattstadt befragt, plädiert Martin, Jahrgang 1957, mit Nachdruck für Räume für die Jugend.

"Die Jungen müssen sich ausprobieren können. Dazu gehört natürlich die Möglichkeit des Scheiterns, aber es braucht die Subkultur. Wenn du nur noch deine Arbeit, deinen Fernseher und deine Bratwurst hast, dann fehlt dir was", dies hätten die vergangenen Monate deutlich aufgezeigt.

Pipi in den Augen

Die Zuneigung zur Kofferfabrik -sie drückte sich zuletzt etwa aus in einer von 7500 Mitmenschen unterschriebenen Petition, einer Crowdfunding-Aktion und in der Stütze durch einen Unternehmer, der für die gesamte Mannschaft einige Monatsgehälter übernahm - habe ihm "das Pipi in die Augen getrieben", sei aber auch ein Indiz dafür, wie sehr die Leute nach einem kulturellen Angebot lechzten, gleich ob Konzert, Theater, Ausstellung.

"Es wird Zeit", sagt der Kofferboss im Zukunftssalon am Ende des einstündigen Talks. Und, ans Publikum an den heimischen Laptops gewandt: "Kommt einfach wieder zu uns, damit wir wissen, wir werden gebraucht."

Verwandte Themen